Von
Charlotte Schmitz
Vertreter von Initiativen
gegen die Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen trafen sich Mitte
Oktober in Bochum. An dem Kongress nahmen Referenten aus 14
Ländern teil. Eingeladen hatte die »Medizinische
Flüchtlingshilfe Bochum«, die eine weltweite
Vernetzung der Kampagnen gegen Straflosigkeit anstrebt.
Überlebende
von Folter leiden unter Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten
und Angstzuständen - Symptome eines Traumas, das nicht geheilt
werden kann, solange die Folterer in Freiheit leben.
Wahrheitskommissionen
sind ein Schritt, um die Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen zu
überwinden, doch sie seien keine Allheilmittel, wie Duma
Khumalo aus Südafrika betonte. Entschädigungen
für die Opfer seien »zu wenig und zu
spät« gezahlt worden. Khumalo ist der einzige
Überlebende der »Sharpeville Six«, die vom
Apartheidsregime zu Unrecht zum Tode verurteilt worden waren.
»Wir müssen die Vergangenheit in die Gegenwart
bringen, um eine friedliche Zukunft für Südafrika zu
schaffen«, betonte er.
Auch um die Aufarbeitung
des Völkermords in Ruanda, wo sich Nachbarn, ja sogar Eheleute
gegenseitig umbrachten, wird noch gerungen. Simon Gasiberege,
Psychologe und Leiter des »University Centre for Mental
Health« in Butare/Ruanda, schilderte die von ihm entwickelten
Therapiemethode für Dorfgemeinschaften. Er arbeitet mit
Gruppen von idealerweise 50, manchmal aber auch bis zu 90 Personen.
»Kleinere
Gruppen sind in Europa die Regel, für uns aber ein
unerreichbarer Luxus.« Sein Ziel sei nicht die Verurteilung
einzelner Verbrechen – dafür seien Gerichte
zuständig - sondern ein kollektiver Prozess der mentalen
Heilung. Täter wie Opfer benötigten einen Raum, um
über ihre Trauer sprechen zu können. »So
wird die Gemeinschaft zum Akteur ihrer Geschichte.« Die
therapeutische Behandlung ersetze aber keine juristische
Aufklärung, erklärte Gasiberege, vielmehr sei diese
sogar eine Voraussetzung, damit die Überlebenden seelisch
gesunden könnten.
Das Trauma von Verfolgung und
Folter wird über Generationen vererbt, wie Forschungen mit
Holocaust-Überlebenden und ihren Nachkommen zeigen. Die Opfer
der Militärdiktaturen Lateinamerikas fordern noch immer eine
Verurteilung der Täter, teils seit Jahrzehnten vergeblich.
Judith Galarza von der lateinamerikanischen Koordinationsstelle
für Angehörige Verschwundener FEDEFAM sagte:
»Es geht uns nicht um Rache, aber wir können nicht
verzeihen, solange die Täter nicht vor Gericht
kommen.« Sie betonte, eine gesellschaftliche Aufwertung der
Überlebenden sei notwendig. Die Täter hätten
ihre Opfer als »kinderfressende Kommunisten«
abgestempelt und Barbareien als »Dienst für das
Vaterland« gerechtfertigt. Die wahren Kinderfresser waren
jedoch die Militärs selbst. In Argentinien wurden
über 500 Kinder ihren Eltern entrissen und von Familien von
Militärs adoptiert. Sie wurden bei der Inhaftierung ihrer
Mütter im Säuglingsalter geraubt oder kamen in Haft
zur Welt. Die Militärs setzten bewusst darauf, diese Kinder in
einem »patriotischen Sinn« zu erziehen. Viele von
ihnen leiden heute unter Störungen der Identität.
Menschenrechtler versuchen nun, die inzwischen erwachsenen Kinder und
ihre biologischen Eltern zusammen zu führen. Es wurde eine
nationale Gendatenbank aufgebaut, um Verwandtschaftsbeziehungen zu
rekonstruieren.
Knut Rauchfuss von der
»Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum«
forderte bei dem Kongress mehr Verständnis für
Migranten in Deutschland: »Flüchtlinge geben ihre
traumatischen Erfahrungen nicht an der Grenze ab.« Die
entwürdigende Behandlung der Flüchtlinge erschwere
eine Heilung von Traumata. Nur eine Anerkennung der Leiden gebe
Folterüberlebenden, die nicht selten unter
Schuldgefühlen litten, die Definitionsmacht über ihr
Leben wieder: »Das Erlittene muss ent-privatisiert und in den
Kontext zurückgestellt werden, in dem das systematische
Verbrechen geschah.«
Infos:
www.gerechtigkeit-heilt.de