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Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V.

Gerechtigkeit heilt –
Der internationale Kampf gegen Straflosigkeit

Internationaler Kongress vom 14. bis 16. Oktober 2005

Neues Deutschland, 25.10.05

Die Folterer zur Rechenschaft ziehen
Internationaler Kongress »Gerechtigkeit heilt« in Bochum


Von Charlotte Schmitz

Vertreter von Initiativen gegen die Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen trafen sich Mitte Oktober in Bochum. An dem Kongress nahmen Referenten aus 14 Ländern teil. Eingeladen hatte die »Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum«, die eine weltweite Vernetzung der Kampagnen gegen Straflosigkeit anstrebt.

Überlebende von Folter leiden unter Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Angstzuständen - Symptome eines Traumas, das nicht geheilt werden kann, solange die Folterer in Freiheit leben.
Wahrheitskommissionen sind ein Schritt, um die Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen zu überwinden, doch sie seien keine Allheilmittel, wie Duma Khumalo aus Südafrika betonte. Entschädigungen für die Opfer seien »zu wenig und zu spät« gezahlt worden. Khumalo ist der einzige Überlebende der »Sharpeville Six«, die vom Apartheidsregime zu Unrecht zum Tode verurteilt worden waren. »Wir müssen die Vergangenheit in die Gegenwart bringen, um eine friedliche Zukunft für Südafrika zu schaffen«, betonte er.
Auch um die Aufarbeitung des Völkermords in Ruanda, wo sich Nachbarn, ja sogar Eheleute gegenseitig umbrachten, wird noch gerungen. Simon Gasiberege, Psychologe und Leiter des »University Centre for Mental Health« in Butare/Ruanda, schilderte die von ihm entwickelten Therapiemethode für Dorfgemeinschaften. Er arbeitet mit Gruppen von idealerweise 50, manchmal aber auch bis zu 90 Personen.
»Kleinere Gruppen sind in Europa die Regel, für uns aber ein unerreichbarer Luxus.« Sein Ziel sei nicht die Verurteilung einzelner Verbrechen – dafür seien Gerichte zuständig - sondern ein kollektiver Prozess der mentalen Heilung. Täter wie Opfer benötigten einen Raum, um über ihre Trauer sprechen zu können. »So wird die Gemeinschaft zum Akteur ihrer Geschichte.« Die therapeutische Behandlung ersetze aber keine juristische Aufklärung, erklärte Gasiberege, vielmehr sei diese sogar eine Voraussetzung, damit die Überlebenden seelisch gesunden könnten.
Das Trauma von Verfolgung und Folter wird über Generationen vererbt, wie Forschungen mit Holocaust-Überlebenden und ihren Nachkommen zeigen. Die Opfer der Militärdiktaturen Lateinamerikas fordern noch immer eine Verurteilung der Täter, teils seit Jahrzehnten vergeblich. Judith Galarza von der lateinamerikanischen Koordinationsstelle für Angehörige Verschwundener FEDEFAM sagte: »Es geht uns nicht um Rache, aber wir können nicht verzeihen, solange die Täter nicht vor Gericht kommen.« Sie betonte, eine gesellschaftliche Aufwertung der Überlebenden sei notwendig. Die Täter hätten ihre Opfer als »kinderfressende Kommunisten« abgestempelt und Barbareien als »Dienst für das Vaterland« gerechtfertigt. Die wahren Kinderfresser waren jedoch die Militärs selbst. In Argentinien wurden über 500 Kinder ihren Eltern entrissen und von Familien von Militärs adoptiert. Sie wurden bei der Inhaftierung ihrer Mütter im Säuglingsalter geraubt oder kamen in Haft zur Welt. Die Militärs setzten bewusst darauf, diese Kinder in einem »patriotischen Sinn« zu erziehen. Viele von ihnen leiden heute unter Störungen der Identität. Menschenrechtler versuchen nun, die inzwischen erwachsenen Kinder und ihre biologischen Eltern zusammen zu führen. Es wurde eine nationale Gendatenbank aufgebaut, um Verwandtschaftsbeziehungen zu rekonstruieren.
Knut Rauchfuss von der »Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum« forderte bei dem Kongress mehr Verständnis für Migranten in Deutschland: »Flüchtlinge geben ihre traumatischen Erfahrungen nicht an der Grenze ab.« Die entwürdigende Behandlung der Flüchtlinge erschwere eine Heilung von Traumata. Nur eine Anerkennung der Leiden gebe Folterüberlebenden, die nicht selten unter Schuldgefühlen litten, die Definitionsmacht über ihr Leben wieder: »Das Erlittene muss ent-privatisiert und in den Kontext zurückgestellt werden, in dem das systematische Verbrechen geschah.«

Infos: www.gerechtigkeit-heilt.de