die tageszeitung NRW, 15.10.2005
Kriegsverbrecher und
Folterer werden immer noch selten verfolgt. Flüchtlinge leiden
unter der Straflosigkeit ihrer Peiniger, sagt
Flüchtlingshelferin Bianca Schmolze. Sie leitet dazu an diesem
Wochenende einen Kongress in Bochum.
taz:
Strafverfolgung ist ein politisches Thema. Wo ist der Zusammenhang zur
medizinischen Flüchtlingshilfe?
Bianca
Schmolze: Wir bieten den Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen
nicht nur medizinische, sondern auch psychosoziale Betreuung. Dabei hat
sich herausgestellt, dass Flüchtlinge zu einem
großen Teil traumatische Erlebnisse hinter sich haben -
politische Verfolgung, Haft, Folter, Vergewaltigung,
Bürgerkrieg. Wir wollen mit den Flüchtlingen
Menschenrechtsverletzungen aufarbeiten, wir wollen, dass die an ihnen
begangenen Verbrechen öffentlich gemacht werden. Wenn die
Menschen wissen, dass ihre Peiniger verfolgt werden, hat das eine
heilende Wirkung.
Eine gewagte These. Ist die
heilende Wirkung von Strafverfolgung bewiesen?
Beweise
für eine generell heilende Wirkung gibt es nicht. Einzelne
Fälle von Besserung sind jedoch dokumentiert. Umgekehrt
existieren aber zahlreiche Dokumente, dass die Straflosigkeit der
Täter die Überlebenden in die Verzweiflung treibt.
Wir wollen mit den internationalen VertreterInnen von
Menschenrechtsorganisationen nun genauer prüfen, welchen
Zusammenhang es zwischen Gerechtigkeit und Heilung gibt.
Beate
Klarsfeld, renommierte Enthüllerin ungeahndeter
Nazi-Verbrechen, hat gestern die Eröffnungsrede gehalten.
Glauben Sie, dass die Ohrfeige, die sie 1968 Bundeskanzler und Ex-Nazi
Georg Kiesinger verabreichte, zu ihrer seelischen Heilung beigetragen
hat?
Die symbolische Ohrfeige war das Mindeste,
was er verdiente. Beate Klarsfeld repräsentiert jedoch viel
mehr: Ihr unermüdlicher Kampf gegen die Straflosigkeit alter
und neuer Nazis ist Sinnbild für das viel zu seltene "gesunde
Handeln" nach dem Ende des deutschen Faschismus. Sie versuchte sogar
untergetauchte Nazis nach Frankreich zu entführen, um sie dort
vor Gericht zu bringen.
Was ist das Ziel des
Kongress?
Ziel ist vor allem der Austausch von
Erfahrungen mit den Organisationen aus anderen Ländern. So
soll eine internationale Vernetzung erreicht werden. Der Kongress ist
Teil eines Zwei-Jahres-Projekts, das die NRW-Stiftung für
"Umwelt und Entwicklung" finanziert. Am Ende sollen die Erkenntnisse in
einer Studie verarbeitet werden.
Seit 2002 gibt
es ein Völkerstrafgesetzbuch, nachdem auch vor nationalen
Gerichten gegen Menschenrechts-Verletzer in anderen Staaten geklagt
werden kann. Wer darf klagen?
Grundsätzlich
jeder und jede. Wenn der Ex-US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im
letzten Jahr einen Besuch in Deutschland gemacht hätte, so
hätte es zu einem Prozess gegen ihn kommen können
wegen der Foltervorwürfe in Abu Ghraib. Im letzten Jahr lag
eine Anzeige gegen ihn vor, weshalb Rumsfeld sogar sein Kommen zur
Münchner Sicherheitskonferenz absagte. Bisher haben die
deutschen Gerichte jedoch keinen Fall angenommen. Es gibt da eine
Gesetzeslücke: Wenn die heimische Justiz in der Lage ist, den
Fall selbst zu verfolgen, hat das Vorrang vor dem universellen
Klagerecht.
Wenn bei ihrer Studie herauskommen
sollte, dass es keinen Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Genesung
der traumatisierten Opfer gibt, geben Sie ihre Kampagne auf?
Nein,
denn die negativen Wirkungen der Straflosigkeit sind ja in jedem Fall
bekannt. Und für eine strafrechtliche Verfolgung der
Täter gibt es ja noch viele andere gute Gründe. Wir
machen das Projekt auf jeden Fall weiter.
INTERVIEW:
NATALIE WIESMANN
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kongress bochum
Der
Kongress "Gerechtigkeit heilt - Der internationale Kampf gegen
Straflosigkeit" wurde gestern im Bochumer "Bahnhof Langendreer" mit dem
Vortrag der bekannten Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld eröffnet
und endet am Sonntag. Organisiert wird die Tagung von der medizinischen
Flüchtlingshilfe Bochum. Er richtet sich vor allem an ein Publikum
von MenschenrechtsaktivistInnen, FlüchtlingshelferInnen und
AnwältInnen. NAW