Rede auf der Demonstration gegen die Gastprofessur
Mesut Yilmas' in Bochum am 10.7.2003

von Ralf Feldmann

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde!

In dieser Woche findet der 3. Akt der tragischen Groteske der Gastprofessur des ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz statt, dargestellt von der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Ruhr-Universität und begleitet von unserem beharrlichen Protest. Beim letzten Mal war Gabriele Riedel, Bürgermeisterin und Ratsmitglied von Bündnis 90/Die Grünen, hier, heute ihr Parteifreund, der Landtagsabgeordnete Ewald Groth, und auch Serdan Yüksel aus dem SPD-Unterbezirksvorstand in Bochum verstärkt unseren Protest. Es ist wichtig, dass das demokratische Bündnis gegen die Gastprofessur Mesut Yilmaz' immer breiter wird.

Mesut Yilmaz, das ist der, in dessen erster Amtszeit als türkischer Ministerpräsident der kurdische Politiker und Mitbegründer des türkischen Menschenrechtsvereins Vedat Aydin von Zivilpolizisten entführt, gefoltert und erschlagen wurde. Auf seiner Beerdigung richtete die Polizei ein Blutbad an: acht Menschen wurden erschossen, über 300 verletzt.
Mesut Yilmaz, das ist der, der es in seiner zweiten Amtszeit zuließ, dass sein Justizminister Isolationshaft und Haftverschärfungen gegen politische Gefangene durchsetzte: sie wurden in weit vom Prozessort entfernte Gefängnisse verlegt, die Verteidigerrechte in drei Erlassen außer Kraft gesetzt. 1.500 Häftlinge traten in den Hungerstreik, 12 starben.
Mesut Yilmaz, das ist der, dem der türkische Generalstab mit einem Putsch in seine dritte Amtszeit verhalf. Als die Europäische Union der Türkei den Kandidatenstatus verweigerte, weil wenige Monate zuvor die Regierung einen internationalen Friedenskonvoi hatte überfallen lassen - zahlreiche Menschen aus ganz Europa und der Türkei waren krankenhausreif zusammengeschlagen und verhaftet worden -, erklärte Yilmaz den politischen Dialog zwischen der Türkei und Europa für beendet und verglich die Außenpolitik der Regierung Kohl mit der der Nationalsozialisten. Den Folterknecht Kemal Yazcioglu ernannte er zum Gouverneur von Ordu. Teile eines Untersuchungsberichts über die Verbindungen zwischen Staat und Organisiertem Verbrechen unterschlug er der Öffentlichkeit mit der Begründung, es könne sein, dass der Staat später einmal wieder die gleichen Methoden anwenden müsse.
Mesut Yilmaz, das ist der, gegen den nach dem jüngsten Abschlussbericht einer Kommission des türkischen Parlaments zur Untersuchung von Korruptionsverbrechen der dringende Verdacht der Korruption im Zusammenhang mit dem Einkauf überteuerten russischen Erdgases und bei der Privatisierung von Banken und Staatsbetrieben besteht.

Die Sozialwissenschaftliche Fakultät will mit diesem Mann die Probleme der Annäherung der Türkei an die Europäische Union wissenschaftlich/politisch aufarbeiten. Der Schlüssel für einen Beitritt der Türkei zur EU oder eine enge Kooperation sind Anerkennung und Verwirklichung der Menschenrechte überall in der Türkei, eine militärunabhängige Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Wir in Deutschland fordern dies ohne moralische Überheblichkeit. Denn unser viel beschworenes Erbe von Humanismus und Aufklärung hat größere Menschenrechtsverbrechen in unserem Land nicht verhindert. Wir fordern dies auch nicht mit Stolz darauf, dass uns wenigstens Trauer und Überwindung der Menschenrechtsverbrechen in Deutschland vorbildlich gelungen wären. Im Gegenteil blieben auch bei uns Täter hoch geehrt und Opfer mussten erneut ins Gefängnis. Aber wenn wir uns dieser eigenen Geschichte erinnern, muss die Konsequenz kompromisslos sein: Menschenrechte und Menschenwürde sind unantastbar. Es gibt keinen Weg zurück hinter Artikel 1 unseres Grundgesetzes.

Wissenschaft, meine Damen und Herren von der Sozialwissenschaftlichen Fakultät, ist frei. Aber es gibt keine Freiheit gegen Menschenwürde und Menschenrechte! Mesut Yilmaz kann nicht Gastprofessor sein, weil er nicht für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte steht!

Aus der Fakultät hört man, die Zustimmung zu Yilmaz auch von herrschaftskritischen Fakultätsmitgliedern könne nur in einem Augenblick kollektiven Gedächtnisverlustes zustande gekommen sein, berauscht von der Aussicht, einen ehemaligen Ministerpräsidenten als Gastprofessor zu gewinnen.
Irren ist menschlich. Naturwissenschaftlern mag dann die Versuchsanordnung um die Ohren fliegen: Geisteswissenschaftler haben Ausreden. Vielleicht, so hört man, gelinge es ja im freien wissenschaftlichen Diskurs mit der Überzeugungskraft der eigenen aufgeklärten Vernunft die Menschenrechtsdiskussion in der Türkei zu beeinflussen zusammen mit den hier lebenden türkischen Mitbürgern. Aber gemeinsam mit dem Täter Mesut Yilmaz? Oder, so sagte einer: auch Gorbatschow habe zunächst im einem System mit Menschenrechtsverbrechen begonnen. Heißt das, Mesut Yilmaz ist eine türkische Menschenrechtshoffnung? Schließlich: der Dialog mit Kritikern und Opfern sei ausdrücklich erwünscht. Täter-Opfer-Ausgleich vor dem Podest des hoch geehrten Täters mit Eintrittskarten für ein erlesenes Publikum, von der Polizei abgewehrt, wenn man nicht eingeladen ist?

Meine Damen und Herren der Sozialwissenschaftlichen Fakultät, noch taumeln Sie aus der Nacht Ihrer Amnesie durch den Nebel Ihrer Ausreden und Beschwichtigungen besinnungslos auf den Abgrund Ihrer Schande zu. Wagen Sie endlich, sich Ihrer aufgeklärten Vernunft zu bedienen, und retten Sie die Würde Ihrer Fakultät: Mesut Yilmaz darf nicht länger Gastprofessor sein.

Und tun Sie etwas für den Menschenrechtsdialog zwischen Europa und der Türkei oder weiter ausgreifend zwischen der sogenannten westlichen und der muslimischen Welt. Es ist ja richtig, dass hier eine schwierige, hochkomplizierte Aufgabe für ein friedliches Zusammenleben in dieser Welt auf wissenschaftliche Begleitung und Befruchtung wartet. Der Dialog muss aber mit den Opfern und gegen die Täter stattfinden.

Darf ich Sie an Nathan den Weisen erinnern, dieses Licht im Erbe unserer Aufklärung? Vielleicht gründen Sie eine Nathan-Gastprofessur, die wechselnden muslimischen Wissenschaftlern die Möglichkeit zum menschenrechtlichen Dialog gibt. Oder die Studierenden organisieren Nathan-Seminare zur Situation der Menschenrechte in muslimischen Staaten - und bei uns selbst. Nach der immer noch großartigen Aufforderung der Ringparabel wetteifernd, wie es dort heißt, "in der von Vorurteilen freien Liebe".
Frei interpretiert also auf der Suche nach Gesellschaftsformen, in denen Menschen den Menschen Schwestern und Brüder sind.
Wozu sonst wären Sozialwissenschaften da? Wie weit entfernt davon sind sie mit einem Gastprofessor Mesut Yilmaz!