9.4.03, BSZ Nr. 592
http://www.ruhr-uni-bochum.de/bsz/592/artikel.html

 

 

Zweifelhafter Erfolg der Ruhr-Uni
Aprilscherz oder Zumutung?

Was laut der Presse-Info der Ruhr-Universität Bochum "ein großer Erfolg für
die RUB" ist, kann nicht als Erfolg gewertet werden, sondern ist eine höchst
problematische Kooperation. Am 1. April wurde in einer Pressekonferenz der
neue Gastprofessor an der Sowi-Fakultät, Mesut Yilmaz, der Öffentlichkeit
vorgestellt. Mit dem ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten habe die
Fakultät "die einzigartige Chance [...] einen hervorragenden Experten für
die Schlüsselfrage der internationalen Politik in Europa, nämlich die
Beziehungen zur Türkei und zum Mittelmeerraum, zu gewinnen," so die Dekanin
der Fakultät, Prof. Dr. Ilse Lenz, laut der Presse-Info der Ruhr-Universität
vom 1. April 2003.
In den kommenden zwei Semestern wird Yilmaz im Bereich Politikwissenschaften
Veranstaltungen zu Themen wie "Die Türkei und Europa", "Das Nebeneinander
der Religionen" sowie "Politische Entwicklungen im Mittelmeer-Raum"
behandeln. Doch verschweigt das Presse-Info geflissentlich, dass sich die
Ruhr-Universität mit Mesut Yilmaz auch einen Experten auf einem anderen
Gebiet ins Haus geholt hat. Yilmaz war mit Unterbrechungen in der Zeit von
1991 bis 1998 insgesamt dreimal Ministerpräsident der Türkei. Als mögliche
Verstrickungen Yilmaz' mit dem organisierten Verbrechen bekannt wurden,
musste er 1998 sein Amt nieder legen.
Menschenrechtsverletzungen unter Yilmaz
Eine kurze Bilanz seiner Regierungsarbeit: Zerstörung und Vernichtung von
ca. 4 500 kurdischen Dörfern, Vertreibung von ca. 5 Millionen KurdInnen, ca.
60 000 politische Gefangene, Inhaftierung von Hunderten Intellektuellen und
WissenschaftlerInnen, Pressezensur/Einschränkung der freien
Meinungsäußerung, Organisationsbeschränkungen von Gewerkschaften, durch
staatliche Hilfen aufgebaute Paramilitärs, "Verschwindenlassen von Menschen"
und "täterunbekannte Morde"
Einzelheiten zu den Verbrechen sind in den Jahresberichten amnesty
internationals nachzulesen oder finden sich auf alternativen Internetmedien,
wie etwa nadir.org, dokumentiert. Stellvertretend sei hier nur das Attentat
auf den Menschenrechtsaktivisten und Vorsitzenden des türkischen
Menschenrechtsvereins IHD Akin Birdal im Frühjahr 1997 genannt. Kurz nach
diesem Attentat, welches er schwerverletzt überlebte, wurde er in Haft
genommen und zu einer hohen Strafe verurteilt. Yilmaz, der zum Zeitpunkt der
Festnahme Birdals noch Vizeministerpräsident war, war am Tag der
Verurteilung gegen Birdal aber bereits Ministerpräsident der Türkei. Während
seiner Amtszeit im Jahre 1998 wurden 2.500 Klagen gegen türkische staatliche
Stellen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht
(Quelle: nadir.org). Es steht außer Frage, dass Yilmaz in
Menschenrechtsverletzungen, Folter und das organisierte Verbrechen in der
Türkei verstrickt war und ihn somit zumindest eine Mitschuld an der Lage in
der Türkei trifft. Doch all dies schient die Verantwortlichen der
Ruhr-Universität nicht sonderlich zu interessieren.
Dialog ja - aber mit wem?
Somit muss sich nicht nur Yilmaz unangenehmen Fragen während seines
Aufenthaltes in Bochum gefallen lassen. Auch die Rolle der Unileitung und
der Fakultät für Sozialwissenschaft, hierbei besonders die der Dekanin Prof.
Dr. Ilse Lenz und des Honorarprofessors und Yilmaz-Freundes Prof. Dr. Jürgen
Gramke ist problematisch. Warum holt man ausgerechnet Yilmaz an die
Ruhr-Universität? Denn so wünschenswert und notwendig eine Annäherung von
Deutschland und der Türkei auch ist, sollte man nicht mit einem Politiker
wie Yilmaz zusammenarbeiten. Gerade angesichts der Tatsache, dass in Bochum
und speziell an der Sowi-Fakultät viele kurdischstämmige Personen studieren,
ist das Engagement Yilmaz' fragwürdig. Somit fordert auch die Kurdistan-AG
an der Ruhr-Uni Bochum in einer Presseerklärung die Unileitung dazu auf
"ihre Entscheidung zu überdenken und das Angebot an eine Gastprofessur für
Mesut Yilmaz schnellstens zurückzuziehen." Sie fordert auch, dass Yilmaz vor
einem Gericht für die Verbrechen des türkischen Staates, für die er als ihr
ehemaliger Ministerpräsident eine Mitverantwortung trägt, Rechenschaft
ablegen solle.
Turbulente Pressekonferenz
Dass das Engagement von Yilmaz an der RUB nicht ohne Proteste bleiben wird
zeigte sich bereits bei der Pressekonferenz am 1. April. Wiederholt gab es
neben Fragen zur aktuellen Rolle der Türkei im Irakkreig auch Nachfragen zur
Verwicklung des Gastprofessors in Menschenrechtsverletzungen. Auf diese
Fragen aber ging Yilmaz nur ausweichend ein, indem er etwa betonte, "der
Beitritt der Türkei zur EU werde allen Bewohnern der Türkei zu Gute kommen."
Einen Fragenden, der auf das oben beschriebene Attentat auf Akin Birdal
einging, bezichtigte Yilmaz sogar der Lüge, da es dieses Attentat nicht
gegeben habe. Auf eine kritische Nachfrage an den Rektor der
Ruhr-Universität, warum man Yilmaz überhaupt eingeladen habe, antwotete
dieser, man wolle sich den Protesten im wissenschaftlichen Dialog stellen.
Keine Dialogbereitschaft
Doch gerade diese Dialogbereitschaft, und das hat nicht zuletzt die
Pressekonferenz gezeigt, besitzt Yilmaz nicht. Somit ist der von Prof. Dr.
Gramke, Prof. Dr. Lenz und dem Rektor der Uni Prof. Dr. Wagner erhoffte
Dialog nicht zu erwarten. Die Kontaktfreudigkeit von Mesut Yilmaz mit
StudentInnen ist in der Türkei weit bekannt. StudentInnen, die z.B.
Sprachkurse in ihrer Muttersprache verlangten, wurden während seiner
Amtszeit gewaltsam von den Universitäten verwiesen und ihr Recht auf ein
Studium wurde ihnen auf Lebenszeit entzogen.<(p>
Die Feststellung der Pressestelle der RUB, dass Yilmaz sich von den
kritischen Fragen "nicht in die Enge drängen" ließ und ein
"Vollblutpolitiker" blieb, sind somit zwar richtig, doch klingen sie
zynisch. Dass Yilmaz als Politiker auf kritische Fragen nicht eingeht - wie
auch die Pressestelle der RUB bemerkt - mag nicht überraschen. Rhetorisch
geschulte Ex-MinisterpräsidentInnen besitzen meistens soviel Zynismus oder
aber auch rhetorisches Können, alles mit einem lapidaren Einwand oder einem
netten Lächeln zu überspielen. Dass allerdings die Ruhr-Universität dieses
Spielchen mitspielt und sich auch durch zu erwartende Proteste nicht von der
Gastprofessur für Yilmaz Abstand nehmen lässt, schwächt das Renommee der
Unileitung nicht nur bei StudentInnen, die aus dem türkischen Staatsgebiet
kommen, sondern auch bei allen anderen. Da, wie bereits gesagt, Yilmaz zu
Gesprächen über seine eigene politische Vergangenheit nicht bereit sein
wird, sollte man sein Engagement an der Ruhr-Universität vermutlich am
besten mit Fernbleiben von seinen Lehrveranstaltungen quittieren. Eventuell
könnte die ganze Geschichte mit der Gastprofessur nur ein April-Scherz des
Rektorats zum gewesen sein. Wenn nicht, sollte das Rektorat die
Gastprofessur einmal überdenken. Denn die Uni darf nicht Anlaufstelle für
Menschen werden, die Menschenrechte mit Füßen treten.
Die Leitung der Ruhr-Uni jedenfalls sollte bei der Vergabe einer
Gastprofessur an "einen hervorragenden Experten für die Schlüsselfrage der
internationalen Politik in Europa", nicht dem Band persönlicher
Freundschaften, sondern politischem Fingerspitzengefühl den Vorrang
gewähren.
wc, Ferhat Baran