13.5.03, Frankfurter Rundschau
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Gastprofessor Yilmaz ist nicht allen willkommen
Menschenrechtler protestieren gegen Auftritt des türkischen Ex-Premiers an
Ruhr-Uni Bochum

Menschenrechtler, Politiker und Studenten haben die Ruhr-Universität Bochum
aufgefordert, die Gastprofessur des "Verbrechers" Mesut Yilmaz zu
widerrufen. Die Uni folgte dem nicht. Der ehemalige türkische
Ministerpräsident Yilmaz doziert von Mittwoch an über "Die Türkei und
Europa". Die Kritiker wollen dagegen protestieren.
Von Andreas Schwarzkopf (Frankfurt a. M.)

An Mesut Yilmaz scheiden sich die Geister. Die Gelehrten der
Ruhr-Universität rühmen sich mit dem früheren türkischen
Ministerpräsidenten, Außen- und Kultusminister einen Experten für die
Innen- und Außenpolitik der Türkei an die Uni nach Bochum geholt zu haben.
Der "Wegbereiter" für die geplante EU-Integration seiner Heimat habe
Kenntnisse über die politischen Strukturen seines Landes, über die ein
Politologe nicht verfüge, sagt Professor Uwe Andersen. Deshalb haben er und
seine Kollegen von der Fakultät für Sozialwissenschaften Yilmaz, der auch
die türkische Mutterlandspartei mitgründete, für das Sommersemester 2003
und das folgende Wintersemester zum Gastprofessor gemacht. Er spricht von
Mittwoch an über "Die Türkei und Europa", "Das Neben- und Miteinander der
Religionen" und "Politische Entwicklungen im Mittelmeer-Raum". Yilmaz wird
nach dem Willen der Wissenschaftler auch öffentlich auftreten - am
Donnerstag im "Haus der Geschichte des Ruhrgebiets".
Doch gegen die Gastprofessur laufen Sozialdemokraten, Grüne und
Menschenrechtsorganisationen, aber auch türkisch- sowie kurdischstämmige
Studierende seit Anfang April Sturm. Knut Rauchfuß von der "Medizinischen
Flüchtlingshilfe Bochum" erklärt, der "Menschenrechtsverbrecher" Yilmaz
trage politische Verantwortung für den "Krieg gegen die Kurden", bei dem
alleine in den 90er Jahren etwa 30 000 Menschen getötet wurden. Als
Mitglied der türkischen Regierung zwischen 1986 und 1998 habe er außerdem
die Verfolgung, Folter und Exekution von unzähligen Oppositionellen mit zu
verantworten. Persönlich verstrickt in Auftragsmorde ist Yilmaz nach
Ansicht von Rauchfuß, weil ein Mitglied der türkischen Mafia aussagte,
Yilmaz habe von solchen Aufträgen gewusst. Eine solche Verstrickung konnte
Yilmaz genauso wenig nachgewiesen werden wie die Korruptionsvorwürfe gegen
ihn, die das türkische Parlament 1998 dazu veranlassten, dem Premier das
Vertrauen zu entziehen. Für die Flüchtlingshilfe waren Yilmaz'
"Menschenrechtsverletzungen" Grund genug, mit Grünen und Sozialdemokraten
sowie dem Allgemeinen Studierendenausschuss (Asta) die Ruhr-Uni dazu
aufzufordern, die Gastprofessur für Yilmaz zu widerrufen.
Die Kritiker teilten ihr Anliegen der Fakultät und der Uni-Leitung in
Briefen und E-Mails mit. Sie wendeten sich außerdem an die Medien. Die
Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) und die Ruhr-Nachrichten berichteten
über den Konflikt. Der Asta sprach mit Rektor Gerhard Wagner und den
Professoren. Ihr Ziel erreichten sie trotzdem nicht, die Hochschule hielt
an dem Vorhaben fest. Schließlich, so Professor Andersen, "haben wir mit
Protest gerechnet".
Bereits in der Vergangenheit hätten vor allem kurdisch- und
türkischstämmige Studenten in Seminaren und Vorlesungen ihre Ansichten über
die Türkei konstruktiv vorgetragen. Andersen erwartet, das die
Yilmaz-Kritiker sich ähnlich verhalten und die geplanten Veranstaltungen
nicht verhindern. "Wir werden nichts Rechtswidriges unternehmen", kündigt
der Menschenrechtler Rauchfuß an. Er und seine Mitstreiter wollen am
Mittwoch in Bochum gegen die Vorträge demonstrieren. Zur Vorlesung wollen
sie Bilder von Opfern und von den "grauenhaften Folgen" der Yilmaz-Politik
mitbringen.