SPD Bochum, 27.6.03
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Wissenschaftsforum / Yilmaz-Debatte
"Vorgänge in der Türkei sehr genau beobachten"

(27. Juni 2003) "Türkei: politische und menschenrechtliche Lage seit den
1980er Jahren" - das war das Thema einer gemeinsamen Veranstaltung des
Bochumer Wissenschaftsforums und Amnesty International am 18. Juni 2003 im
Bochumer Haus der Geschichte des Ruhrgebiets.

Anlass für die Diskussionsrunde war die Gastprofessur von Mesut Yilmaz an
der Ruhr-Universität Bochum, der in der Politik der Türkei bis 2002 u.a.
als Ministerpräsident eine wichtige Rolle gespielt hat. In seine Amtszeiten
fielen auch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, Folterung und
Unterdrückung insbesondere der Kurden; die Gastprofessur erhielt er mit der
Begründung der Förderung des europäischen Dialogs mit der Türkei. In Bochum
hatten sich zahlreiche Gruppen gegen die Gastprofessur ausgesprochen und
u.a. vor seiner ersten Vorlesung demonstriert.

Das Wissenschaftsforum und Amnesty International hatten für die
Informationsveranstaltung, von der sie sich eine Versachlichung der Debatte
versprachen, Prof. Dr. Fikret Adanir (Historiker an der Ruhr-Universität
Bochum), Amke Dietert (Türkei-Expertin von amnesty international) sowie Dr.
Oliver Ernst (Politikwissenschaftler, Universität Münster) gewinnen können,
moderiert wurde die Diskussion von Prof. Dr. Bernd Faulenbach (Historiker
an der Ruhr-Universität und Vorsitzender der Bochumer SPD).

Die Veranstaltung war mit ca. 60 Leuten gut besucht. Prof. Fikret Adanir
begann mit einer Darstellung der historischen Entwicklung der Türkei bis
heute und unterstrich vor allem, dass die Türkei nach der Abschaffung des
Kalifats ein multikultureller säkularer Staat mit autoritärem Regime
gewesen sei, in dem das Militär bis heute eine große Rolle spiele. Im
Bestreben, die Türkei als eine Nation zusammenzuhalten, seien dabei die
einzelnen Volksgruppen unterdrückt worden, wobei insbesondere in den 1980er
Jahren Repressionen aller Art bis hin zur Folter und zum Verschwinden von
Menschen angewandt wurden. Yilmaz sei Teil des Systems gewesen, habe sich
aber insbesondere gegen Ende seiner politischen Karriere massiv für den
Beitritt der Türkei zur EU und den damit verbundenen Reformen eingesetzt -
aufgrund dieses Engagements sei er auch nach Bochum berufen worden.

Menschenrechte: "Verbesserungen geschehen nur langsam"
In ihrem Beitrag verdeutlichte anschließend Amke Dietert die
Menschenrechtslage in der Türkei, in der Minderheiten immer noch wenig
Platz haben und von Verfolgung bedroht sind. Viele der im Parlament auf den
innen- und außenpolitisch wachsenden Druck durchgesetzten Reformen seien
zudem nicht bei den Menschen angekommen, weil die Praxis vor allem des
Polizeiapparats eine andere sei, so dass Menschenrechtsverletzungen vor
allem gegenüber nicht-politischen Gefangenen weiterhin an der Tagesordnung
seien. Es gebe zwar Verbesserungen - aber sie geschähen nur sehr langsam
und hingen letztlich davon ab, ob tatsächlich der politische Wille zur
Veränderung bestehe.

Als letzter sprach Dr. Oliver Ernst, der die politische Debatte um
Menschenrechte beleuchtete, die in Deutschland bis in die 1970er Jahre vor
allem immer als ein Problem der realsozialistischen Staaten - nicht der
NATO-Partner wie der Türkei - gesehen wurden. Ende der 1970er Jahre wurde
dann die Menschenrechtslage in der Türkei erstmals im deutschen Bundestag
diskutiert, dies auch aufgrund der wachsenden Zahl kurdischer
Asylsuchender, die sich zu kurdischen Gruppen und Parteien wie der PKK
bekannten. Deutschland hielt allerdings an seinen materiellen Zuwendungen
an die Türkei fest - nicht zuletzt weil der Türkei eine Schlüsselstellung
im Falle des Aufbrechens des Ost-West Konflikts zugesprochen wurde. Seit
dem Beginn der rot-grünen Koalition 1998 werde die Menschenrechtslage in
der Türkei insbesondere mit dem Hinweis auf den Beitrittswunsch zur EU
vorsichtig kritisiert.

Die Ergebnisse der Veranstaltung fasste Prof. Bernd Faulenbach nach einer
kontroversen Diskussion zusammen. Er konstatierte zwar

* Verbesserungen in der Menschenrechtslage in der Türkei, jedoch noch
keine gute Situation,
* Verbesserungen in der Situation der Kurden, jedoch noch lange keine
Lösung,
* den Polizeiapparat als Problem, das angegangen werden müsse,
* sah das Staatsverständnis im Wandel und war ein ganz klein bisschen
positiv gestimmt.

Faulenbach stellte fest, dass weiterhin die Vorgänge in der Türkei sehr
genau beobachtet werden müssten, meinte, nicht endgültig entscheiden zu
können, in wieweit Yilmaz persönlich verantwortlich war für
Menschenrechtsverletzungen, und schloss schließlich mit dem Anliegen, die
Debatte weiterzuführen.

Insgesamt war die Veranstaltung gelungen, und hat vor allem verdeutlicht,
wie wenig wir immer noch von unseren türkischen Nachbarn und der dortigen
Politik wissen. Viele stimmten am Ende mit Prof. Bernd Faulenbach überein,
dass die Frage, inwieweit Yilmaz selbst in Menschenrechtsverletzungen
verwickelt war, nicht abschließend zu beantworten sei. Eine Veranstaltung
also auch, die dazu anregt, den Diskurs weiterzuführen.