junge Welt, 13.05.2003,
http://www.jungewelt.de/2003/05-13/012.php

Inland, Martin Höxtermann

Vorlesung unter Polizeischutz
Uni Bochum hält trotz wachsender Proteste an Gastprofessur des türkischen
Expremiers Yilmaz fest

Am Mittwoch wird der ehemalige türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz im
Rahmen seiner Gastprofessur am Fachbereich Sozialwissenschaften der
Ruhr-Universität Bochum (RUB) einen ersten Gesprächskreis in kleiner Runde
veranstalten, am Donnerstag seinen ersten öffentlichen Vortrag halten. Die
Unileitung hält an ihrer Einladung an Yilmaz fest - trotz massiver Proteste
von Menschenrechtsinitiativen und studentischen Hochschulgruppen, die von
Yilmaz' Mitverantwortung für schwerste Menschenrechtsverbrechen in seiner
Amtszeit zwischen 1991 und 1998 die Kampagne »Anklagebank statt
ehrstuhl« gestartet haben (jW berichtete am 25. April).
»Die Universität ist ein offener Ort der Diskussion, wir stehen zu unserer
Einladung und sind froh darüber, daß Herr Yilmaz in Bochum tätig wird,
obwohl ihm auch Angebote aus anderen europäischen Universitäten und
Institutionen vorlagen«, sagte Josef König, Pressesprecher der RUB,
gegenüber jW. Das Thema Menschenrechte stehe nicht auf der Agenda des
Expremiers, räumte König ein. Doch es könne ja in Diskussion mit Herrn
Yilmaz erörtert werden, so der Sprecher.
Auf einen solchen Dialog legen die Kritiker jedoch wenig Wert, solange
Yilmaz sich nicht von den in seiner Amtszeit verübten
Menschenrechtsverletzungen distanziert. »Wir diskutieren nicht mit
Verbrechern«, erklärte Martin Budich vom Bochumer Friedensplenum, das neben
30 anderen Organisationen dem »Bündnis für Menschenrechte an der
UB« angehört. Ein solcher Dialog müsse in den Ohren der Folteropfer und
ihrer Angehörigen mehr als zynisch klingen. »Die RUB darf nicht Anlaufstelle
für Menschen werden, die Menschenrechte mit Füßen treten«, betonte auch
Thilo Machotta, Sprecher des Allgemeinen Studierendenausschusses (AstA) der
Uni, gegenüber jW.
Vor wenigen Tagen erst hat das Bündnis einen Aufruf veröffentlicht, in dem
erneut die Ausladung von Yilmaz gefordert wird. »Aus unserer Sicht verbietet
sich die Verleihung einer Gastprofessur an Mesut Yilmaz aufgrund seiner
Mitverantwortung für schwerste Menschenrechtsverbrechen. Die Anforderung der
moralischen Integrität, der jeder Gastprofessor in den Augen der
sozialwissenschaftlichen Fakultät genügen sollte, kann im Fall Yilmaz nicht
angenommen werden«, heißt es darin. Die Ehrung durch eine zweisemestrige
Gastprofessur zeuge von einem »Mangel an moralischem Urteilsvermögen seitens
der Universitätsleitung«. Darüber hinaus werde das nationale und
internationale Prestige der Universität Bochum durch Yilmaz nicht
gesteigert, sondern ernsthaft gefährdet.
Für Mittwoch ruft das Bündnis aus Anlaß der ersten Veranstaltung des
Exstaatschefs um 17 Uhr zu einer Kundgebung in Bochum am Haus der Freunde
der RUB, Stiepeler Str.129 auf, für Donnerstag zu einer Kundgebung (17.30
Uhr, Husemannplatz) mit anschließender Demonstration zum Haus der
Geschichte. Auch die Polizei hat ihr Kommen angekündigt und will für
einen »störungsfreien Ablauf« der Veranstaltungen sorgen, wie
Polizeisprecherin Ingrid Laun-Keller ankündigte.