Junge Welt, 28.11.2003
http://www.jungewelt.de/2003/11-28/016.php


Interview
(Interview: Markus Bernhardt)

Mesut Ylimaz lehrt doch nicht in Bochum:
Brachten Proteste Unileitung zur Räson?

jW sprach mit Martin Budich. Er engagiert sich im Friedensforum Bochum und
ist aktiv an den Protesten gegen Mesut Yilmaz beteiligt gewesen



F: Seit dem vergangenen Sommersemester hat ein breites Bündnis gegen die
Gastprofessur des ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz an
der Ruhr-Universität Bochum (RUB) protestiert. Warum?

Wir haben in einer umfangreichen Dokumentation nachgewiesen, welche
gravierenden staatlich veranlaßten oder zumindest geduldeten
Menschenrechtsverletzungen während dessen langjähriger Amtszeit passiert
sind. Yilmaz trägt die politische Verantwortung. In Hunderten von Verfahren
vor dem Internationalen Menschenrechtsgerichtshof in Strasbourg ist dies
bestätigt worden.

F: Unter dem Motto »Anklagebank statt Lehrstuhl« forderte das Bündnis die
Universität auf, die Gastprofessur zurückzuziehen. Jetzt erst scheint man
Gehör gefunden zu haben. Was sind die Gründe für den Sinneswandel der
Universitätsleitung?

Der Sinneswandel ist sicherlich mehr durch die vernichtende öffentliche
Reaktion als durch eigene Einsicht zustande gekommen. Erst als es ein
einhelliges Echo in den Medien gab, von Sozialwissenschaftlern - dorthin war
Yilmaz berufen worden - könne erwartet werden, daß sie sich ein wenig
darüber sachkundig machen, wen sie sich an die Fakultät holen, ist die
Leitung der Universität ins Grübeln gekommen. Als deutlich wurde, in welchen
Umfang Yilmaz für Menschenrechtsverbrechen verantwortlich ist, haben viele
Professoren hinter vorgehaltener Hand eingeräumt, daß der ganze Vorgang eine
peinliche Angelegenheit ist. Keine Hochschullehrerin, kein Hochschullehrer
hat aber den Mut gehabt, das auch öffentlich zu vertreten.

F: Ursprünglich war für das Wintersemester eine dauerhafte Anwesenheit von
Yilmaz an der RUB geplant. Im neuen Vorlesungsverzeichnis ist er lediglich
noch an zwei Tagen mit einem Seminar vertreten, welches aber nicht in
Bochum, sondern in der Türkei sowie an einem weiteren, derzeit noch
geheimgehaltenen Veranstaltungsort stattfindet. Komplett scheint sich die
Universitätsleitung nicht von Yilmaz distanzieren zu wollen, oder?

Nein, das traut sie sich nicht. Die Gastprofessur ist immerhin vom
ehemaligen Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, Jürgen Gramke, initiiert
worden. Ihn will die Uni offensichtlich nicht verärgern. Er ist immer noch
eine wichtige Nummer in der Wirtschaft und zudem Honorarprofessur an der
Ruhr-Uni. Diese Kontakte bringen wahrscheinlich Drittmittel, und was zählt
da schon die politische Moral. Die sozialwissenschaftliche Fakultät hat sich
aufgrund der Proteste des AStA und der Fachschaft, aber sicherlich auch
wegen der großen außeruniversitären Empörung dazu durchgerungen, im nächsten
Semester eine Gastprofessur für Menschenrechte einzurichten. In diesem
Zusammenhang soll es schwerpunktmäßig um die Menschenrechtssituation in der
Türkei gehen. Wir warten ab, ob dies ernst gemeint ist und wie dies
ungesetzt wird.