11.02.2009, Deutschland
ECCHR fordert Prozess gegen tschetschenischen Präsidenten Kadyrov
Berlin/Wien, 11. Februar 2009 - Das European Center for
Constitutional and Human Rights (ECCHR) aus Berlin drückt seine
tiefe Sorge über die Umstände und das Fehlen politischer und
rechtlicher Konsequenzen im Zusammenhang mit der Ermordung des
tschetschenischen Folteropfers Umar Israilov am 13. Januar 2009 in Wien
aus.
Der in Österreich als politisch verfolgter Flüchtling
anerkannte Israilov war Kronzeuge in einem Verfahren des ECCHR wegen
Folter und Mord gegen den amtierenden Präsidenten der russischen
Teilrepublik Tschetschenien Ramzan Kadyrow.
Umar Israilov wurde von April 2003 bis Juli 2003 im Lager Tsentoroi
widerrechtlich gefangen gehalten und von Kadyrov mehrfach
persönlich gefoltert.
Während seiner Gefangenschaft in Tsentoroi und auch später
als er für den Sicherheitsdienst zwangsrekrutiert wurde, war
Israilov Augenzeuge von systematischen Folterungen sowie
widerrechtlichen Exekutionen, die durch Ramzan Kadyrov persönlich
und seine Gefolgsleute verübt worden sind. So wurden drei
tschetschenische Aufständische, die der Betroffene im
Gefängnis in Tsentoroi getroffen hatte, erschossen. Darunter war
Shamil Gerikhanov, der gefoltert und vergewaltigt wurde, mit dem Ziel,
den Mord an 70 bzw. 80 Menschen zu gestehen. Israilov hörte, dass
Kadyrov die Ermordung von Gerikhanov befahl und sah, wie dieser
abtransportiert wurde.
Das ECCHR erstattete am 13. Juni 2008 in Österreich Strafanzeige
gegen Ramzan Akhmadovitsch Kadyrov wegen Folter und anderer grausamer,
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, gemäß dem
Weltstrafrechtsprinzip (Universelle Jurisdiktion) sowie Art. 1, Art. 5
und Art. 6 des Übereinkommens gegen Folter und anderer grausamer,
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe
(UN-Antifolter-Konvention). Israilov war Kronzeuge in dem Verfahren.
„Bei so gravierenden Menschenrechtsverletzungen darf sich
kein Amtsträger irgendwo auf der Welt in Sicherheit wähnen.
Der Globalisierung von Menschenrechtsverletzungen durch Staaten im
Rahmen vermeintlicher Terrorbekämpfungsmaßnahmen muss eine
globalisierte transnationale Menschenrechtsbewegung
entgegentreten“ erklärte dazu Wolfgang Kaleck,
Generalsekretär des ECCHR.
Das ECCHR versuchte gemeinsam mit engagierten österreichischen
RechtsanwältInnen während der Fußball-EM bei der
zuständigen Staatsanwaltschaft vergeblich einen Haftbefehl gegen
Ramzan Kadyrov zu erwirken. Kadyrov wollte am 14.06.2008
anlässlich des EM-Spiels zwischen Russland und Griechenland nach
Salzburg reisen. Ein weiteres EM–Fußballspiel, an dem
Russland beteiligt war, fand am 18.06.2008 in Innsbruck und
während des Halbfinales in Wien am 26.06.2008 statt.
Diesem Ansinnen ist die österreichische Staatsanwaltschaft nicht
nachgekommen. Während zunächst Unzuständigkeit bzw.
Wochenend-Notdienst (Journaldienst) als offizielle Begründung
gegen die Entgegennahme der Anzeige genannt wurden, stellte sich die
Staatsanwaltschaft später auf den Standpunkt, die Anzeige habe zu
wenig Substanz für einen Haftbefehl enthalten. „Diese
Vorgänge sind inakzeptabel für einen Rechtsstaat.
Österreich ist durch die UN-Folterkonvention zum Einschreiten in
solchen Fällen verpflichtet.“ so Kaleck.
Viel schwerer wiegt jedoch, dass die latente Lebensgefahr, in welcher
der Kronzeuge, seine schwangere Ehefrau und drei Kinder lebten von den
zuständigen Stellen heruntergespielt wurde. Die Polizei
verweigerte noch wenige Tage vor der Ermordung Israilovs
Personenschutz, obwohl tatsächliche Anhaltspunkte für die
Vorbereitung eines politischen Auftragsmordes bzw. organisierter
Verschleppungen von Regimekritikern vorlagen. In der Folge behaupteten
die Behörden tagelang, es habe keinen Antrag auf Polizeischutz
gegeben bzw. die Bedrohungslage sei zu wage gewesen. Die
Innenministerin Maria Fekter höchstpersönlich hatte, im
Widerspruch dazu, sogar behauptet, dezidierter Polizeischutz sei vom
Opfer abgelehnt worden.
Mittlerweile bestätigte die Staatsanwaltschaft gegenüber der
Austria Presse Agentur (APA), dass Ramzan Kadyrov sich tatsächlich
in Österreich aufgehalten hat.
Das ECCHR fordert die Verantwortlichen auf, den politischen
Auftragsmord an Umar Israilov sowie das Versagen der
österreichischen Behörden im Hinblick auf die Strafverfolgung
Kadyrovs lückenlos aufzuklären und in Zukunft das
begründete Schutzbegehren von Zeugen in Folter-Prozessen
bedingungslos anzuerkennen.
Ansprechpartner:
Wolfgang Kaleck, ECCHR-Generalsekretär
Tel.: +49 / 30 / 400 485 90
E-Mail: info@ecchr.eu
Weitergehende Informationen:
Florian Klenk, Falter vom 11.02. 2009
http://www.falter.at/web/print/home.php
C. J. Chivers, Critic of Chechen President Is Killed in Exile in Vienna
http://www.nytimes.com/2009/01/14/world/europe/14chechnya.html?_r=1&ref=world
Informationen aus dem Netzwerk
Kooperationen
World Coalition Against Torturers (WCAT)
International Rehabilitation Council for Torture Victims (IRCT)
Projektleitung
Bianca Schmolze
Bianca Schmolze ist Dipl. Betriebswirtin (FH) und seit
2002 Mitarbeiterin der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum.
Nachdem sie zunächst für Fundraising
zuständig war, leitet sie nun seit November 2004 das Projekt
"Kampf gegen Straflosigkeit".
Darüber hinaus ist sie Ratsmitglied der Stadt Bochum.
Tel.: +49-(0)234-9041380
Fax: +49-(0)234-9041381
(Dienstag und Donnerstag, 10.00 bis 18.00 Uhr)
Gefördert durch
Manfred Nowak, UN-Sonderberichterstatter für Folter