"Lasst die Folterer sich ängstigen!"
Neun TrägerInnen des alternativen Nobelpreises gründen „Weltweite Koalition gegen
Folterer“ (WCAT)
Knut Rauchfuss: Inge, Du bist Gründerin des Internationalen Rehabilitationsrates für Folteropfer (IRCT)
. Wie arbeitet IRCT?
Inge Genefke:
IRCT ist eine internationale Organisation mit Sitz in Kopenhagen, der mehr als 200
Rehabilitationszentren für Folteropfer aus der ganzen Welt angehören. Das erste
Rehabilitationszentrum RCT haben wir 1981 in Kopenhagen gegründet, und 1985 haben wir die
Organisation dann international ausgeweitet.
Wir haben zahlreiche Projekte in allen Teilen der Welt, sowohl mit ÄrztInnen, PsychologInnen
und anderen Gesundheitsberufen, die an unseren Schulungsprogrammen teilnehmen, zum Beispiel zum
„Istanbul Protocol“
, einem Manual zur Untersuchung und Dokumentation von Folterfolgen, das zur Zeit sicherlich eines
unserer wichtigsten Projekte darstellt. In diesem Projekt haben wir bisher mit fünf
Rehabilitationszentren insgesamt 25 AnwältInnen und 50 ÄrztInnen in Georgien, Sri Lanka,
Mexiko, Marokko und in Uganda geschult. Derzeit dehnen wir das Projekt mit EU-Unterstützung auf
fünf weitere Länder aus.
Auch bauen wir gerade Zentren im Irak auf, in denen wir ÄrztInnen ausbilden, wie wir das immer
tun. Dabei entsenden wir nicht selbst Leute in andere Länder, sondern stützen uns auf
Personal vor Ort. Wir bieten Trainingsprogramme an und helfen finanziell. Und wir gewähren
ihnen einen gewissen Schutz, zumindest so weit, wie wir das können.
Knut Rauchfuss:
Du arbeitest seit 30 Jahren mit Überlebenden von Folter. Was speziell sind Deine Erfahrungen
über die Auswirkung der weltweit nach wie vor weit verbreiteten Straflosigkeit von Verbrechen
gegen die Menschlichkeit auf die seelische Gesundheit der Überlebenden?
Inge Genefke:
Das ist grausam, denn es hat einen schrecklichen Effekt auf die Opfer, dass nahezu keine Folterer
oder politisch Verantwortliche vor Gericht gestellt werden. Und wenn bestimmte Dinge passieren, zum
Beispiel, als Pinochet sein „Jubiläum“ feierte, konnte man sehen, wie die
chilenischen Folteropfer reihenweise in ihrem Gesundheitszustand einbrachen. Solche Ereignisse haben
einen äußerst schlechten Einfluss auf die Gesundheit unserer KlientInnen, sowohl
physisch, als auch - wesentlich stärker natürlich - psychisch.
Knut Rauchfuss:
Heute kämpfen zahlreiche Menschenrechtsorganisationen auf der ganzen Welt gegen die
Straflosigkeit, und in den letzten Jahren konnten sogar einzelne Erfolge erzielt werden. Wie wirken
diese Fortschritte auf Eure KlientInnen, speziell, wenn es möglich wurde, den einen oder
anderen Täter wirklich vor Gericht zu stellen?
Inge Genefke:
Das hat einen enormen Effekt. Man kann das nicht genug betonen. Ich erinnere mich sehr genau daran,
als Pinochet festgenommen wurde und nach Spanien ausgeliefert werden sollte. Das war nicht nur
phantastisch für die chilenischen Folteropfer, sondern auch für Folteropfer aus ganz
anderen Ländern, die das alles ganz aufmerksam verfolgt haben, und das ist ein Riesenerfolg.
Und als Ärztin sage ich, dass wir den Opfern und ihren Familien helfen müssen, nicht nur
körperlich und seelisch, nicht nur sozial, sondern dass wir auch für Gerechtigkeit sorgen
müssen. Gerechtigkeit ist genauso wichtig wie alles andere. Sie bringt den Opfern die
Würde zurück und nimmt die ganzen erlittenen Entwürdigungen.
Knut Rauchfuss:
Du hast auf die heilsame Bedeutung des Kampfes gegen Straflosigkeit verwiesen. Du bist auch eine der
GründerInnen eines neuen Netzwerkes, der "World Coalition Against Torturers" (WCAT).
Welche Ziele verfolgt WCAT?
Inge Genefke:
Im Grundsatz sind wir neun TrägerInnen des alternativen Nobelpreises, die diese Aktionsgruppe
im Juni dieses Jahres gegründet haben: Martin Almada aus Paraguay, Rachel und Uri Avnery aus
Israel, Carmel Budiardjo aus Indonesien, Juan Garcés aus Spanien, Guillaume Harushimana aus
Burundi, Felicia Langer aus Deutschland bzw. Israel, Vesna Terselic aus Kroatien und ich. Und als
Zehnter Vithal Rajan aus Indien, der Mitglied der Jury ist, die den Alternativen Nobelpreis
jährlich vergibt. Wir waren beisammen und sagten: Genug ist genug! Wir können
Folteropfern und ihren Familien helfen, und ganz sicher tun wir das auch und werden auch noch
mehr für ihre Rehabilitation tun. Aber es ist unglaublich wichtig, die Folterer auch vor
Gericht zu bringen. Und daher gründeten wir WCAT.
Und mittlerweile stehen uns auch ausreichende Werkzeuge im Kampf gegen Straflosigkeit zur
Verfügung. Da ist zu allererst die UN-Konvention gegen Folter. Diese Konvention ist extrem bedeutend, nicht nur wegen der Definition, die dort für Folter festgelegt ist. Und auch das Istanbul Protocol ist wirklich eine Waffe in unserer Hand. Die Anti-Folter-Konvention legt klar fest, dass Folter weder in Friedens- noch in Kriegszeiten legitim ist und auch die Befehlsausführung keine Entschuldigung darstellt. Die Artikel 4 bis 9 behandeln das Problem der Straflosigkeit. Wenn ein Folterer in einen der über 150 Vertragsstaaten kommt, woher auch immer, und es nach vorliegenden Informationen klar ist, dass er gefoltert hat, wo auch immer und wen auch immer, dann soll er dort vor Gericht gestellt werden - nicht nur kann dies getan werden, sondern es ist eine Selbstverpflichtung der Unterzeichnerstaaten.
Aber Tatsache ist, dass es nahezu nirgends je passiert. Und hier beginnt unsere Aufgabe, unsere Regierungen heute dazu zu bringen, den Verpflichtungen auch nachzukommen, die sie eingegangen sind.
Außerdem haben wir die internationalen Strafgerichte, ob in Den Haag, in Sierra Leone, Rwanda oder anderen Ländern. Aber sie können nicht alles tun. Sie machen eine großartige Arbeit, aber die Justiz unserer Länder muss das Übrige tun. Und das ist es, was unsere Gruppe vorbereitet:
Wir wollen die rechtlichen und medizinischen Fakten zusammentragen und die großen Folterer, die die Anweisungen geben und als ehemalige oder derzeitige Präsidenten die politische Verantwortung tragen, vor Gericht stellen. So wie es Leute gibt, die schon die ersten rechtlichen Schritte gegen die Folterer Bush oder Rumsfeld eingeleitet haben. Aber auch gegen die ehemaligen und alten wie Stroessner oder Mugabe. Gegen all die ehemaligen Justiz-, Innen- und Verteidigungsminister, gegen Generäle und die Chefs der Geheimpolizeien, gegen all jene, die die Befehle geben. Gegen diese Leute müssen wir entsprechende Beweise zusammentragen. Sodass wir ihnen, sobald sie in unsere Länder kommen, auch den Prozess machen können. Aber leider ist es auch eine Tatsache, dass nur sehr wenige Länder bisher dieses System gut zum Funktionieren gebracht haben.
Wir haben in einigen Fällen Erfolg gehabt. Zum Beispiel wurde vor etwa einer Woche der Vizeverteidigungsminister von El Salvador in Memphis in den USA verurteilt, Entschädigungen an vier Opfer bzw. Angehörige in El Salvador in Höhe von 2 Millionen US-Dollar zu zahlen.Es gibt ein paar andere Beispiele, und wir wollen dafür sorgen, dass sie breiter bekannt werden.
Im September 2005 landete der israelische Kriegsverbrecher Doron Among in London. Dort erwartete ihn die Polizei schon mit einem am Vortag von einem britischen Gericht ausgestellten Haftbefehl. Allerdings gelang es der israelischen Botschaft, ihn noch rechtzeitig zu warnen. Er blieb also im Flugzeug und musste nach Tel Aviv zurückkehren.
Ebenso bereiten wir eine Verbrecher-Galerie vor, um ihnen klarzumachen, dass wir sie im Visier haben.
Wir müssen viel mehr von diesen Fällen schaffen. Dies würde in zwei Dingen helfen. Erstens hilft es den Opfern. Das ist für mich als Ärztin schon Grund genug, so zu handeln. Aber es hat auch einen präventiven Effekt. Denn wenn diese Leute wissen, dass wir ihre Taten kennen und genügend Beweise dafür haben, dann können sie nicht mehr in unsere Länder kommen. Und Du weißt, all diese Folterer kommen gerne nach Paris, nach Berlin, nach London, nach Wien, nach Rom, usw.
Also haben wir mit der World Coalition Against Torturers begonnen.
Es wird lange dauern, fürchte ich, aber Ihr macht das in Deutschland jetzt auch. Damit es keinen Platz mehr auf der Erde gibt, an dem sich Folterer sicher fühlen können. "Lasst die Folterer sich ängstigen!", heißt es in unserem Gründungsaufruf. Wir arbeiten daran.
Dr. Inge Genefke ist Trägerin des Alternativen Nobelpreises, der ihr 1988 für ihren damals schon mehr als 20 Jahre langen Einsatz für die Gesundheit von Überlebenden von Folter verliehen wurde. Das Interview wurde englisch geführt, transkribiert und übersetzt und erschien in leicht modifizierter Form in analyse & kritik Nr.501 vom 16.12.2005.