„Lebenslang für Folter-Priester von Wernich -
Ex-Präsident
Fujimori als Häftling zurück in Peru -
Kriegsverbrecher in Sierra Leone
verurteilt - Liberianischer Ex-Präsident in Den Haag vor
Gericht - Spanien
verurteilt argentinischen Ex-Militär zu 1084 Jahren
– Pinochets
Geheimdienstchef muss hinter Gitter …“ - Immer
häufiger bestätigen Schlagzeilen
eine Entwicklung, nach der Täter und Urheber schwerer
Menschenrechtsverletzungen heute zumindest nicht mehr
zwangsläufig damit
rechnen können, straffrei davonzukommen.
Weltweit galt es noch bis vor wenigen Jahren als normal, dass Ex-Diktatoren wie der Philippiner Ferdinand E. Marcos, der Iraner Reza Pahlewi, der Haitianer Jean-Claude Duvalier oder der Ugander Idi Amin Dada allenfalls ins Exil gingen und dort einen weitgehend unbehelligten Lebensabend verbrachten. Andere, wie der Bolivianer Hugo Banzer Suárez oder der Guatemalteke Efraín Ríos Montt, blieben gar im Land und traten später als Präsidentschaftskandidaten im formaldemokratischen Gewand erneut an. Wurde im Einzelfall ein ehemaliger Machthaber zur Rechenschaft gezogen, so erwartete ihn entweder ein kurzer Prozess, wie den Rumänen Nicolae Ceaucescu und seine Ehefrau Elena, oder eine Exekution gänzlich ohne Gerichtsbeschluss, wie den Nicaraguaner Anastasio Somoza im paraguayischen Exil. Strafprozesse gegen Kriegsverbrecher oder Ex-Diktatoren und ihre Handlanger, wie 1946 in Nürnberg, 1975 in Athen oder 1985 in Buenos Aires, blieben lange die absolute Ausnahme, und gerade die Beispiele aus Argentinien und Deutschland zeigen, von welch kurzer Dauer der politische Wille zu einer auch strafrechtlich basierten Vergangenheitspolitik letztlich war.
Erst die Einsetzung der Internationalen Tribunale und Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda sowie die Verhaftung des chilenischen Ex-Diktators Pinochet 1998 in London, lieferten im ausgehenden 20. Jahrhundert einen entscheidenden neuen völkerrechtlichen Schub in der gerichtlichen Aufarbeitung von Kriegs- und Diktaturverbrechen. Seither nehmen Schlagzeilen wie die oben zitierten zu. Insbesondere in den Ländern des lateinamerikanischen Südens, des Cono Sur, haben Menschenrechtsorganisationen und Angehörigenvereinigungen in den letzten Jahren deutliche Fortschritte im Kampf gegen die jahrzehntelange Straflosigkeit schwerer Menschenrechtsverletzungen aus den Siebziger und Achtziger Jahren erzielt. Ohne diese unermüdlichen Kämpfe und ihre internationale Unterstützung wären wesentliche internationale Konventionen und Verträge so nicht beschlossen und universelle Völkerrechtsstandards nicht in gleicher Weise etabliert worden. (Roht-Arriaza 2005; Roht-Arriaza & Mariezcurrena 2006)
Doch was sich gegenüber den zurückliegenden Jahrzehnten durchaus als eindeutiger Erfolg darstellt, ist noch immer weit von einem Ende der Straflosigkeit entfernt. Weltweit und auch in den Ländern des Cono Sur stellen jene Fälle, die tatsächlich vor Gericht landen, nur die Spitze des Eisbergs dar und kontrastieren mit einer ansonsten noch immer weit verbreiteten Straflosigkeit. Und die zaghaften Fortschritte, die auf internationaler Ebene errungen wurden, haben es gleichzeitig schwer, sich gegen die systematische Aushöhlung von Menschenrechtsstandards zu behaupten, die mit dem so genannten „Krieg gegen den Terror“ verbunden ist (von Arnim u. a. 2004: 109-148; Deile u. a. 2006: 17-158).
Eine Betrachtung der psychosozialen Auswirkungen der Straflosigkeit, d. h. ihrer Folgen sowohl für das seelische Befinden der Überlebenden schwerer Menschenrechtsverletzungen als auch auf die für eine Rehabilitation der Überlebenden entscheidenden gesellschaftlichen Verhältnisse, kann sich nicht alleine auf eine Betrachtung der fehlenden strafrechtlichen Verfolgung der Täter beschränken. Unter Straflosigkeit werden daher in diesem Aufsatz die Defizite einer umfassenden Vergangenheitspolitik (Fuchs & Nolte 2006; Straßner 2007: 28ff) verstanden, die die vier Elemente Wahrheitsfindung, Erinnerungskultur, Entschädigung der Überlebenden und eine konsequente juristische Aufarbeitung gleichermaßen umfasst, so wie sie in den Achtziger und Neunziger Jahren durch den zuständigen UN-Sonderberichterstatter Louis Joinet ausgearbeitet und 2004 durch UN-Generalsekretär Kofi Annan festgeschrieben wurden (Joinet 2002; Annan 2004).
Für gewöhnlich wird die Frage der noch immer weit verbreiteten Straflosigkeit schwerer Menschenrechtsverletzungen vor dem Hintergrund ihrer Auswirkungen als Demokratisierungshemmnis oder als Katalysator für Friedensprozesse diskutiert. Nicht selten erscheint sie dabei als notwendiges Übel, das um der Illusion gesellschaftlicher Versöhnung willen in Kauf zu nehmen sei (Philpott 2006; Becker 2005).
Nur wenig Beachtung wird dabei den psychosozialen Folgen der Straflosigkeit geschenkt, jenen Auswirkungen also, die unmittelbar die intrapsychischen Befindlichkeiten von Überlebenden schwerer Menschenrechtsverletzungen betreffen oder mittelbar den gesellschaftlichen Kontext, in dem diese mit dem Erlittenen umgehen müssen.
Anders als die offiziellen Debatten vermuten lassen, sind die psychosozialen Folgen der Straflosigkeit jedoch gut dokumentiert. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle behindert die Straflosigkeit der Täter nachweislich die Stabilisierung von Überlebenden „psychosozialer Traumata“. Mittlerweile liegen aus zahlreichen Ländern aller Kontinente Untersuchungen über diesen Zusammenhang vor (Rauchfuss 2006; 2008; Schmolze & Rauchfuss 2007). Am längsten und umfassendsten jedoch wurden in Argentinien, Chile und Uruguay Erfahrungen gewonnen, dokumentiert und analysiert. Daher konzentriert sich der vorliegende Beitrag auf die genannten Länder des Cono Sur.
Zur Charakteristik
psychosozialer
Traumatisierungspozesse
Lange Zeit wurde der Begriff des Psychotraumas unterschiedslos auf die seelischen Folgen aller Erlebnisse bezogen, die die intrapsychischen Verarbeitungsmechanismen der unmittelbar Betroffenen übersteigen. Die Symptome wurden dokumentiert und zur Diagnosekategorie des „posttraumatischen Belastungsstörung“ (PTSD) zusammengefasst, ohne zwischen den verschiedenen Formen traumatischer Ereignisse, ihren Kontexten und Bedingungen zu differenzieren. Eine Sichtweise, die von Seiten derjenigen, die mit Überlebenden schwerer Menschenrechtsverletzungen arbeiten, zunehmend infrage gestellt wird. Die Kritiken beziehen sich dabei u. a. auf die Nivellierung, die von der unzulässigen Gleichsetzung einfacher Unfälle mit ausgedehnten Formen gesellschaftlicher Gewalt ausgeht, sowie auf die Pathologisierung der Überlebenden und die Einengung der seelischen Folgen durch die Diagnosekategorie PTSD. (Rauchfuss 2003b; Becker 2006)
Auch die soziologische Forschung hat sich den gesellschaftlichen Folgen von Krieg und Repression gewidmet und die in Übergangsgesellschaften wirksamen soziologischen Phänomene und Prozesse untersucht (O’Donnell u. a. 1986; Huntington 1991). Dabei blieben jedoch deren psychologische Folgen für Überlebende in aller Regel außerhalb der Betrachtungen.
Um die Einengung des Traumabegriffs auf die entweder individualpsychologische oder soziologische Terminologie und Sichtweise zu durchbrechen, prägte der 1989 ermordete salvadorianische Sozialpsychologe Ignacio Martín-Baró den Begriff des „psychosozialen Traumas“. Martín-Baró betont den dialektischen Charakter von individueller Psychotraumatisierung und der sozialen Dimension von Krieg und Unterdrückung. Das psychosoziale Trauma wird zwar individuell erlebt, ist jedoch ein Produkt gewaltsamer gesellschaftlicher Verhältnisse. Es erfasst neben dem Individuum auch dessen unmittelbares soziales Umfeld und darüber hinaus weite Teile der Gesellschaft. Die soziale Dimension des psychosozialen Traumas wird sowohl durch massenhafte direkte Betroffenheit weiter Bevölkerungskreise, als auch indirekt über die Zerstörung der sozialen Beziehungen zwischen den nur mittelbar Betroffenen erzeugt. (Martín-Baró, 1988: 40ff)
Der Verlauf psychosozialer Traumata erschließt sich erst dann, wenn das Trauma nicht als singuläres Ereignis, sondern als Prozess verstanden wird. Den prozesshaften Charakter des Traumas charakterisierte erstmals der Arzt und Psychoanalytiker Hans Keilson in seinem Konzept der “sequentiellen Traumatisierung”. Keilson, der die Shoah selbst im Untergrund überlebte, arbeitete nach 1945 in Holland jahrzehntelang therapeutisch mit jüdischen Kriegswaisen und gilt als einer der Pioniere der Traumatherapie. Auf der Basis seiner Untersuchungen prägte er 1979 die Sichtweise, Trauma nicht länger als ein isoliertes Ereignis zu interpretieren, sondern als Abfolge von traumatischen Sequenzen unterschiedlichen Charakters und unterschiedlicher Bedeutung. Dabei ist für die individuellen Folgen nicht nur entscheidend, was initial erlebt wurde, sondern vor allem, was auf das traumatische Erlebnis folgte. (Keilson 1979)
Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen auch die US-amerikanische Psychoanalytikerin Yael Danieli (1998) und der norwegische Psychiater Leo Eitinger (1991) in Bezug auf erwachsene Überlebende der Shoah.
Der zwischen 1982 und 1999 in Chile praktizierende Traumaexperte David Becker reformulierte und erweiterte Keilsons Konzept, so dass es auch auf andere sozialpolitische Traumatisierungsprozesse anwendbar wurde (Becker 2006: 188ff). Gemeinsam mit anderen TherapeutInnen des Lateinamerikanischen Instituts für Seelische Gesundheit und Menschenrechte (ILAS) lehnt Becker daher die Konzeption eines „Post-Tauma-Stadiums“ grundsätzlich ab und spricht von kontinuierlichen Sozialpolitischen Traumatisierungsprozessen (Becker 2003).
Vor diesem Hintergrund ist das psychosoziale Trauma für die Überlebenden niemals allein abhängig von dem Ausmaß des Erlittenen, sondern wird maßgeblich durch seine gesellschaftliche Dimension mit gesteuert. Anders als andere Traumata stellt das psychosoziale Trauma das Produkt eines über Jahre hinweg andauernden politischen, sozialen und individuellen Prozesses dar. In der Traumaforschung gilt mittlerweile als unumstritten, dass die Folgen psychosozialer Traumatisierungsprozesse auch die kommenden Generationen noch erfassen können (Rosenthal 1999; Danieli 1998; Kordon & Edelman 2002). Die Prognose psychosozialer Traumatisierungsprozesse unterliegt daher ganz entscheidend dem Verlauf der gesellschaftlichen Dimension, in der sie entstanden sind, und wird durch soziokulturelle und politische Entwicklungen in der auf das traumatische Erlebnis folgenden Phase, wesentlich beeinflusst. (Rauchfuss 2003a, 2003b, 2007)
Beatriz Brinkmann, Mitarbeiterin des chilenischen Therapiezentrums CINTRAS, charakterisiert diesen sozialen Kontext des Traumas als „Element, welches das Trauma mit der Zeit modifizieren oder chronifizieren kann“ (Brinkmann 2005). Eine wesentliche Bedeutung für eine erfolgreiche Aufarbeitung traumatischer Erlebnisse kommt dabei der Anerkennung des Erlittenen durch die Umgebung zu. Aufgrund der Soziogenese des traumatischen Ereignisses ist es hierfür von wesentlicher Bedeutung, ob und in welcher Weise für das Erlittene auch eine Anerkennung durch die Gesellschaft als Ganzes erfahren werden kann. In einer Kultur der Straflosigkeit ist diese gesellschaftliche Anerkennung nicht gegeben. (Rauchfuss 2003a)
"Ich glaube, der große Irrtum vieler bestand darin zu verkennen, dass viele menschliche Tragödien nach dem Ende der Verbrechen erst beginnen“, erläutert daher Dr. Paz Rojas, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, die für die chilenische Menschenrechtsorganisation Corporación de Promoción y Defensa de los Derechos del Pueblo (CODEPU) tätig ist (Paz Rojas 2003). Denn die Zeit nach dem formalen Ende der Diktaturen stellen in den Ländern des Cono Sur eine weitere traumatische Sequenz dar, die entscheidend von der Straflosigkeit der Diktaturverbrechen geprägt ist. (Castillo 2001: 64; Páez 2001)
Zur Situation der
Straflosigkeit in den Ländern des Cono
Sur
In den Ländern des lateinamerikanischen Südens zeigten sich nach dem formalen Ende der Militärdiktaturen der 70er und 80er Jahre fast flächendeckend Bestrebungen der nachfolgenden Zivilregierungen, einen “Schlussstrich“ unter die Diktaturverbrechen zu ziehen. Amnestiegesetze ermöglichten ehemaligen Tätern in Chile und Uruguay einen straffreien Übergang in die neuen Gesellschaften (Moya et al, 2003; Rauchfuss 2001, 2005a, b; Straßner 2007). In Argentinien, wo zwischen 1983 und 1986 zunächst eine umfangreiche Prozesswelle gegen Militärs in Gang gesetzt wurde, erlitt diese einen jähen Einbruch, nachdem unter dem Druck der Streitkräfte ebenfalls Schlusspunkt- und Befehlsnotstandsgesetze verabschiedet und eine Amnestie für die bereits Verurteilten erlassen wurden (Maris Ageitos, 2002). Diese Situation dauerte bis 2001 an und ist seither schrittweise rückläufig, bis zur Abschaffung der Amnestiegesetze durch Präsident Kirchner in 2003, die erst zwei Jahre später letztinstanzlich bestätigt wurde und der Aufhebung der Gnadenerlasse im April 2007. Seitdem ist die Zahl der Gerichtsverfahren sprunghaft angestiegen (Schmolze & Rauchfuss 2007). Bis Ende 2007 sind nach Informationen des in Buenos Aires ansässigen Zentrums für rechtliche und soziale Studien (CELS) gegen 365 der 898 an schweren Menschenrechtsverletzungen beteiligten Soldaten, Polizisten und Zivilisten Gerichtsverfahren eröffnet, allerdings erst 8 Urteile gesprochen worden. (CELS 2007; Rauchfuss & Schmolze 2008)
Auch in Chile und Uruguay zeichnen sich in der jüngeren Vergangenheit Fortschritte bei der Überwindung der Straflosigkeit ab. In Chile mussten sich Mitte des Jahres 2007 nach Angaben der Menschenrechtsorganisation CODEPU etwa 300 Personen aufgrund von Verbrechen während der Diktaturjahre vor Gericht verantworten. Mehr als 100 wurden bereits in den Vorjahren verurteilt. In Uruguay hingegen lässt sich die Zahl der eröffneten Verfahren noch an zwei Händen abzählen. (Straßner 2007; Schmolze & Rauchuss 2007)
So sehr die jüngeren Entwicklungen in den genannten Ländern auch von Menschenrechtsorganisationen begrüßt werden, noch erfolgen sie eher schleppend. Und sie kommen vielfach zu spät. Der chilenische Ex-Diktator Pinochet und sein paraguayischer Amtskollege Stroessner sind ebenso in Freiheit verstorben, wie die argentinischen Juntageneräle Viola, Galtieri, Agosti, Anaya, Lacoste und Lambruschini – um nur die bekanntesten Namen anzuführen.
Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts war es in keinem der genannten Länder möglich, zu einer hinreichenden Aufarbeitung der Vergangenheit zu gelangen, selbst dann nicht, wenn wesentliche Sektoren der ehemals verfolgten Opposition an den Übergangsregierungen beteiligt waren oder diese sich sogar komplett aus dem Lager der ehemaligen Regimegegner zusammensetzten. Die Verbrecher blieben über lange Zeit unbehelligt und besetzen oftmals bis heute die Vorstandsetagen von Unternehmen, gehen zivilen Berufen nach, beziehen staatliche Pensionen oder verbringen ihren Lebensabend als gewählte Politiker.
Gleichzeitig fand und findet sich eine große Zahl jener, die die Diktaturjahre in Gefängnissen, geheimen Folterlagern, in Exil und Untergrund verbrachten, bis heute ohne Arbeit, ohne staatliche Unterstützung und für lange Zeit ohne die ihnen gebührende gesellschaftliche Anerkennung am Rande des öffentlichen Lebens wieder. Auch einzelne prägnante Ausnahmen von Folterüberlebenden und Angehörigen von Verschwundenen in verschiedenen Parlamenten, widerlegen diese Grundtendenz nicht. Nicht wenigen ehemaligen politischen Gefangenen wurden bis heute ihre bürgerlichen Rechte nicht zurückgegeben und ihre Berufsverbote nie aufgehoben. Auf Entschädigungszahlungen warten zahlreiche Diktaturopfer vergeblich - ein integrales Entschädigungsprogramm wurde nicht aufgelegt.
Und die Angehörigen jener Zehntausenden von Oppositionellen, die Militär, Polizei und Todesschwadronen abholen, entführen und verschwinden ließen, bleiben bis heute ohne Information über das Schicksal dieser in der Haft „Verschwundenen“. Außer in Argentinien trugen auch offizielle Wahrheitskommissionen anfangs nur sehr eingeschränkt zur Untersuchung und Dokumentation der in den Jahrzehnten des Terrors auf dem lateinamerikanischen Kontinent begangenen Diktatur- oder Kriegsverbrechen bei. In den meisten Fällen war es verboten, Täter namentlich in den Berichten zu nennen. So auch in Chile, wo der Prozess der Wahrheitsfindung nur sektoriell und auf mehrere einzelne Kommissionen verteilt stattfand. (Moya, 2003; Rauchfuss, 2005b) Der dürftige Abschlussbericht der dreijährigen uruguayischen Kommissionsarbeit wurde lange Zeit nicht einmal veröffentlicht (Rauchfuss, 2005a). Erst 22 Jahre nach dem Ende der Diktatur legte die Regierung Vasquez einen umfangreichen Bericht vor, den jedoch eine Historikerkommission ohne Beteiligung der Öffentlichkeit erstellt hat. (Rico u. a. 2007)
Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts darf die Straflosigkeit in den Ländern des Cono Sur als umfassend angesehen werden. Die Veränderungen, die seither stattgefunden haben, sind noch zu jung, um als nachhaltige Kehrtwende gelten zu können. Eine erste Analyse der Folgen dieser Erosion der Straflosigkeit zeigt, dass sich durchaus Hinweise auf eine positive Rückwirkung für die seelische Befindlichkeit von Überlebenden feststellen lassen (Rauchfuss & Schmolze 2008). Die vorliegende Betrachtung zu den psychosozialen Auswirkungen der Straflosigkeit konzentriert sich jedoch auf die Jahre umfassender Straflosigkeit in den Ländern des Cono Sur.
Psychosoziale Auswirkungen
der Straflosigkeit
Am
intensivsten dokumentiert wurden die psychosozialen
Auswirkungen der Straflosigkeit von Diktaturverbrechen in Chile durch
die
Therapiezentren CINTRAS und ILAS, in Argentinien durch das
„Team für
psychosoziale Arbeit und Forschung“ (EATIP) und in Uruguay
durch den „Sozialen
Rehabilitationsdienst“ (SER-SOC). Ihre Forschungsergebnisse
haben maßgeblich
zur Klärung der seelischen Folgen von politischer Repression
und Straflosigkeit
beigetragen. (Kordon & Edelman 1986; SER-SOC 1995; Becker
2006b; EATIP,
GTNM/RJ, CINTRAS & SERSOC 2002; Kordon u. a. 2005)
Seit November 2002
findet in Buenos Aires jährlich der „Internationale
Kongress über seelische
Gesundheit und Menschenrechte“ statt. (Kazi 2004; Universidad
Popular Madres de
Plaza de Mayo 2002)
Dabei wird
„Straflosigkeit“ nicht allein als das Fehlen von
Gerichtsurteilen gegen die Verbrecher vergangener Terrorregime oder
Kriegsparteien verstanden, sondern in einem umfassenden
soziokulturellen Sinne.
Die unmittelbare rechtliche Straffreiheit ist eingebettet in eine
weitreichende
gesellschaftliche Ignoranz und Negation dessen, was den Opfern und
Überlebenden
widerfahren ist.
Diese kann durch Schweigen und Amnesie hergestellt werden,
wie etwa im Chile der Neunziger Jahre, in dem das Wort
„Diktatur“ in der
Alltagssprache nahezu vollständig durch den Begriff
„alte Regierung“ ersetzt
wurde. Über die Verbrechen der Vergangenheit offen zu reden,
blieb wenigen
Außenseitern vorbehalten. (Dorfman 2003: 65; Rauchfuss 1995)
In Argentinien hingegen wurde die
kollektive Amnesie
zunächst durch ein Überangebot an Schreckensmeldungen
über die Vergangenheit
eingeleitet. Täglich publizierten dieselben Medien, die
während der Diktatur
beharrlich geschwiegen hatten, alptraumartige Geschichten des Horrors
über
Grausamkeit und Sadismus in den Haftlagern, die sie von
Überlebenden
recherchierten. Sie wurden ergänzt durch Interna der geheimen
Spezialkommandos
und Todesschwadronen und mischten sich zu einer allgemeinen Show
des Horrors,
wie sie von Menschenrechtsorganisationen heftig kritisiert wurde (Sarlo
1985:144;
Gelman & La Madrid 1997: 31).
Auf diese Weise wurde der Eindruck der
Omnipräsenz willkürlicher Gewalt perpetuiert, ohne
die Systematik und die
Intention aufzuzeigen, die hinter den Verbrechen stand, die
öffentliche
Wahrnehmung wurde immunisiert und die Bereitschaft, einen Schlussstrich
unter
die Vergangenheit zu ziehen, erhöht. Die vermeintliche
Allgegenwärtigkeit des
Verbrechens verwischte die persönliche Verantwortung konkreter
Täter und wurde,
durch ihre abstrakte Schuldzuweisung an die gesamte Gesellschaft,
gezielt als
kollektive Mitverantwortung missverstanden. Und wo alle eine Schuld
trifft, ist
niemand mehr verantwortlich. (Fariña 1992: 228; Edelman
& Kordon 2005:
127ff)
Hieß es nicht nur in Argentinien bereits während der Diktatur: „Por algo sera“ – „Irgendetwas wird schon dran sein“, wenn Menschen in Folterzentren verschleppt wurden, so schien sich dieses Vorurteil durch die Straflosigkeit der Entführer nachträglich zu bestätigen, und verlängerte die Zuschreibung einer Mitschuld an die Opfer und Überlebenden. Mindestens wurde den Überlebenden eine nachträgliche Übertreibung der Geschehnisse unterstellt, oftmals aber auch der fortdauernde Verdacht geäußert, dass diese ja eine kriminelle Vergangenheit hätten. Galten Diktaturopfer vormals als „Subversive“, so verwandeln sie sich in der öffentlichen Wahrnehmung einer von Straflosigkeit geprägten Übergangsgesellschaft in „DestabilisiererInnen“ der neuen Demokratie, denen – aufgrund ihrer persönlichen emotionalen Betroffenheit – die Urteilsfähigkeit über die Demokratisierungsfortschritte abgesprochen wird. Und die protestierenden Angehörigen der Verschwundenen, die während der Diktaturzeit bereits für „verrückt“ erklärt wurden, traf noch lange der nur leicht gewandelte Vorwurf der „emotionellen Beeinträchtigung“. (Edelman & Kordon 2005: 128f)
In diesem Klima wachsen die psychosozialen Konsequenzen der Straflosigkeit. Sie perpetuiert die gesellschaftliche Ausgrenzung der Überlebenden unter ähnlichen, wenn auch subtileren Stigmata von der Diktaturzeit in die Übergangsgesellschaft. Ergänzt wird diese neue traumatische Sequenz durch den latenten bis offenen Fortbestand der Bedrohung, die sich in der Kontinuität des gesellschaftlichen Einflusses der ehemaligen Täter manifestiert.
Für Überlebende
von Folter stellt sich die Kultur der
Straflosigkeit als Barriere für die Aufarbeitung ihrer
traumatischen
Erfahrungen dar. Im Vordergrund steht dabei die fehlende
gesellschaftliche
Anerkennung für das Erlittene, die jedoch eine wichtige
Voraussetzung für die
biografische Einordnung des Erlebten und die Historisierung der
Ereignisse
darstellt. Ein gesellschaftliches Klima, in dem die begangenen
Verbrechen
negiert, das persönliche Leid strukturell angezweifelt und die
unter der
Diktatur verkehrten Täter-Opfer-Rollen nicht korrigiert
werden, hält das unter
der Folter geprägte Bild des omnipotenten Täters wach
und vertieft Entrüstung,
Zorn und Aggression vor dem Hintergrund andauernder
Ohnmachtsgefühle auf Seiten
der Überlebenden. (Madariaga 2002: 77; Arregui de Azpiroz
1995: 18)
Dies
erweist sich insofern als besonders problematisch, als für
zahlreiche
Überlebende schwerer Menschenrechtsverletzungen die
Kapazität zur Ausprägung
gesunder Aggressionen durch die traumatischen Erlebnisse
zerstört wurde. Wer zu
viel Gewalt erlitten hat, hat oftmals die Fähigkeit verloren,
das eigene
aggressive Potential zu akzeptieren und Wut oder Zorn angemessen zu
kanalisieren. Viele Überlebende neigen daher dazu,
Aggressionen gegen sich
selbst zu wenden, anstatt sie gegen die Täter zu wenden.
(Becker 2005; 2006:
123; Rauchfuss & Schmolze 2008)
Eine Integration der traumatischen Erlebnisse in die eigene Biografie, die Restrukturierung des zerstörten Lebensentwurfes, sowie der Wiederaufbau von Selbstwertschätzung und -vertrauen werden auf diese Weise durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erschwert oder gar unterbunden. An ihre Stelle treten oftmals unvermindertes Misstrauen, Selbstzweifel und Autoaggression bei einem fortdauernden Gefühl der Erniedrigung.
„Das
Schlimmste war
die Demütigung, nicht der Schmerz“, charakterisiert
ein Überlebender den
Teufelskreis der Folter. „Der Schmerz geht vorbei, aber die
Demütigung bleibt
und lässt Dich hassen, und der Hass erinnert Dich
ständig aufs Neue an die
Demütigung“. Die Kultur der Straflosigkeit
verstärkt diesen von Fiechtner &
Waldmann (1984) zitierten Teufelskreis. Sie führt dazu, dass
Ressentiments,
Hass und Rachegefühle über Jahrzehnte hinweg erhalten
bleiben können und sich
in transformierter Weise auch auf kommende Generationen
übertragen.
Zahlreiche
Nachkommen von Verschwundenen, aber auch von Überlebenden der
Repression leiden
unter den Folgen der Verfolgung ihrer Eltern. Berichten der
Therapiezentren in
den Ländern des Cono Sur
zufolge,
stellen diese jungen Erwachsenen heutzutage einen großen Teil
ihrer Klientel.
(Vaselli u. a. 2006). Um ihre Situation gemeinsam zu reflektieren,
Erfahrungen
auszutauschen und gemeinsam gegen das Erbe der Diktatur zu
kämpfen, haben sich
die Nachkommen von Verschwundenen in Argentinien 1995 zu einer eigenen
Organisation unter dem Namen H.I.J.O.S. zusammengefunden. (Gelman
& La
Madrid 1997)
Retraumatisierungen durch
Straflosigkeit
In einem Klima der Straflosigkeit besteht für Überlebende von Diktaturverbrechen eine erhöhte Verletzlichkeit gegenüber Reaktivierungen des Traumas.
Einer Delegation der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum berichtete das Team von SER-SOC in Montevideo im Frühjahr 2006, dass sich bestimmte tagespolitische Ereignisse, auch mehr als 20 Jahre nach dem offiziellen Ende der uruguayischen Diktatur, noch heute in ihrer therapeutischen Praxis bemerkbar machen. So treten signifikante Häufungen von Konsultationen im Zusammenhang mit Situationen auf, die Erinnerungen an die Repression zwischen 1973 und 1985 wachrufen, wie z.B. nach einer Welle gewalttätiger Übergriffe gegen DemonstrantInnen 1995 oder während der sozialen Aufstände in Argentinien Ende 2001, aus deren Anlass auch über dem benachbarten Montevideo Helikopter kreisten (Vaselli u. a. 2006). Während der Militärdiktatur kam in Uruguay auf je fünf Erwachsene eine Verhaftung (Riquelme 2003: 5). Daher haben die traumatischen Erfahrungen in der Bevölkerung umfassenden Charakter. Und die geringe Einwohnerzahl führt dazu, dass zufällige Begegnungen mit ehemaligen Tätern sich im Alltag tatsächlich ereignen. Die Straflosigkeit ist daher konkret und alltäglich erfahrbar. SER-SOC-KlientInnen berichten in der Therapie von derartigen Zusammentreffen und ihren krisenhaften Folgen (Vaseli, Busch & Scapusio 2006). Die uruguayische Psychologin María del Rosario Arregui schreibt auch den Amnestiegesetzen selbst eine unmittelbar retraumatisierende Wirkung zu: „Wir können feststellen, dass die Gesetze, die die Straflosigkeit der Aggressoren absichern, sich reaktivierend auf die in der Vergangenheit anlässlich der Verhaftung durchlebten Grenzsituationen auswirken“ (Arregui de Azpiroz 1995: 18).
Beobachtungen über retraumatisierende Wirkungen tagespolitischer Ereignisse liegen auch von EATIP aus Buenos Aires vor. So berichten die Psychiaterinnen Lucila Edelman und Diana Kordon von Protesten gegen die Privatisierung der Bildung im Jahr 1992, deren zumeist jugendliche TeilnehmerInnen mit ausgeprägten Ängsten zu kämpfen hatten, es könne sich die so genannte „Nacht der Bleistifte“ wiederholen. In jener Nacht im September 1976 wurden alle SchülerInnen der Sekundarstufe entführt, die Proteste für die Beibehaltung von Schülerfahrkarten organisiert hatten. So irreal 1992 die Angst vor einer Wiederholung der Ereignisse auch sein mochte, so wurde sie doch faktisch genährt durch die Drohung von Präsident Menem, dass im Falle einer Fortführung der Demonstrationen die Mütter der Plaza de Mayo „neue Mitglieder erhalten“ könnten, was von vielen als Androhung einer neuen Welle gewaltsamen Verschwindenlassens interpretiert wurde. Vor dem Hintergrund fortdauernder Straflosigkeit erhielt diese Drohung eine Dimension, die ihr real nicht angemessen war. (Edelman & Kordon 2005: 130; Seoane & Ruiz Nuñez 1989)
Ähnliche psychosoziale Reaktionen von Überlebenden und ihren Nachkommen zeigten sich auch in den Folgejahren, oftmals anlässlich von Protesten sozialer Bewegungen. Sie erreichten ihren Höhepunkt im Rahmen der Repression gegen die sozialen Unruhen, die in den Jahren 2000 und 2001 den Rücktritt mehrerer Regierungen erzwangen. Vor allem Personen, die Polizeiübergriffe beobachtet hatten und diese zur Anzeige bringen wollten, litten unter Angstschüben vor einer Rückkehr der Repression der Diktaturjahre. Darüber hinaus machte sich ein deutlich erhöhtes gegenseitiges Misstrauen von Mitgliedern innerhalb sozialer Organisationen bemerkbar. (Edelman & Kordon 2005: 130)
Mit unmittelbarem Bezug auf die Straflosigkeit berichtet EATIP ferner von Reaktivierungen traumatischer Symptome durch Medienauftritte von Tätern, die sich öffentlich zu den Todesflügen bekannten, mit denen Gefangene lebend ins Meer gestürzt wurden. Auch anlässlich des polizeilichen Vorgehens gegen Jugendliche, die sich an so genannten „Escraches“ – Demonstrationen gegen ehemalige Täter – beteiligten, äußerten KlientInnen Beklemmungen, die Gewalterinnerungen mobilisierten, Gefühle von Hilf- und Wehrlosigkeit, bis hin zu Depersonalisierungsepisoden. (Kordon u. a. 2002: 97)
Als Präsident Menem ab Oktober 1989 die Begnadigungen für bereits verurteilte Militärs aussprach, ließen sich zahlreiche Überlebende der Diktatur unmittelbar einen neuen Reisepass ausstellen, da sie eine Rückkehr des Staatsterrors fürchteten. (Edelman & Kordon 2005: 130)
Auch der chilenische Psychiater Carlos Madariaga beschreibt, dass im Kontext fortbestehender Straflosigkeit dem Phänomenen der „Retraumatisierung“ eine besondere Bedeutung zukommt. Verstärkt traten Retraumatisierungen bei Überlebenden z.B. immer dann auf, wenn der Prozess gegen den in London verhafteten Ex-Diktator Pinochet 1998/1999 in eine kritische Phase geriet, in der seine Rückkehr nach Chile drohte. (Madariaga 2001: 50)
Der chilenische Exilschriftsteller Ariel Dorfman erinnert sich an diese Monate, die unter der ständigen Drohung des ehemaligen Diktators durchlebt werden mussten, notfalls werde ein neuer Putsch verhindern, dass ihm die junge Demokratie zu nahe träte. (Dorfman 2003: 22)
„Nie war General Pinochet so allgegenwärtig in diesem Land wie gerade jetzt, wo er in London unter zeitweiligem Arrest steht. Immer noch beherrscht er unsere Existenz, sogar noch präsenter und entscheidender, obwohl er physisch abwesend ist. Dieses Land ist besessen von General Pinochet. […] Chile ist […] ein Land, in dem das Leben nicht weitergehen kann, bis das Leben, das hier zerstört wurde, zu seinem Recht kommt. […] Es ist an der Zeit, diese Situation zu verändern, diese heuchlerische Versöhnung, die verlangt, dass auf der einen Seite die Opfer das ihnen zugefügte Leid vergessen sollen, ohne dass verlangt wird, dass auf der anderen Seite die privilegierten und verbrecherischen Chilenen, die ihren Mitbürgern dieses Leid zugefügt haben, je um Verzeihung bitten müssen. […] ich (muss) gestehen, dass sich unter den Triumph (über die Verhaftung Pinochets) noch etwas anderes mischt. Ja, es ist Angst, die ich spüre. Ich mag diese Angst nicht, die mich so urplötzlich befällt, die es mir nicht erlaubt, mich einfach nur über diese Niederlage aller Diktatoren der Welt zu freuen. […] sie verbindet mich mit der Empfindung all meiner Landsleute […]. Immer wieder dieses Schulterzucken, dieses Wegschauen, dieses Niederschlagen der Augen, bevor sie etwas von sich preisgaben: Beweis eines Traumas, das nach acht Jahren Demokratie immer noch nicht überwunden ist. Beweis dafür, dass der Putsch immer noch irgendwo hinter ihren Augen abläuft, wie in einer Wochenschau, die man nicht abstellen kann.“ (Dorfman 2003: 54 ff, 59, 64ff)
Doch Dorfman klagt nicht nur über das Angstgefühl und „irrationale Panikattacken“, die ihn anlässlich der Drohungen rund um den Pinochetprozess befielen. Er schildert ferner den unmittelbaren Impuls, unter dem Einfluss der Drohgebärden des Militärs für seine internationalen Gäste Verstecke zu suchen und ihnen zur Kontaktaufnahme mit den Botschaften zu raten, ein Impuls, der den zuvor aus Argentinien geschilderten massenhaften Passanträgen in 1989 gleicht. (Dorfman 2003: 66)
Nach Madariaga (2002: 73, 77) sind dieses Wiederaufleben von Ängsten wie auch andere episodisch auftretende symptomatische Rückfälle und Krisen zwar mittelbare Folge des durch die Diktatur hervorgerufenen psychosozialen Traumas und seiner individuellen wie auch kollektiven zerstörerischen Dimension. Ihr Auftreten korrespondiert in einem Klima der Straflosigkeit jedoch unmittelbar mit Ereignissen, die Erinnerungen an die Verfolgung wachrufen. Der Straflosigkeit fällt dabei ein potenzierender Effekt in Art und Umfang der Trauma-Reaktivierungen zu.
Kordon et al (2002: 97f) erklären diesen Mechanismus durch die Deaktivierung der Funktion des Rechtes als Garant einer symbolischen Ordnung und als gesellschaftliche Vermittlungsinstanz. Darüber hinaus verhindert die Straflosigkeit, dass das Rechtssystem seine Funktion symbolischer Genugtuung erfüllen kann. (Edelman & Kordon 2005: 126) Dieser Verlust von Rechtssicherheit führt zu einer periodischen Reaktivierung der traumatischen Erfahrungen von Schutzlosigkeit und entfaltet darüber seine destruktive Wirkung auf das seelische Befinden der Überlebenden. Er verhindert die Vernarbung der traumatischen Erlebnisse durch eine Kontinuität der Unsicherheit, in die neue Ereignisse mit bedrohlicher Symbolik einbrechen können und Retraumatisierungen nach sich ziehen. (Kordon u. a. 2002: 98)
Die verhinderte Trauer
Insbesondere in Argentinien und Chile stand das Verschwindenlassen von Oppositionellen im Mittelpunkt des staatlichen Terrors gegen die Bevölkerung. Allein in Argentinien wurden etwa 30.000 Menschen durch Militär und Polizei verschleppt. Die Mehrzahl ihrer Leichen konnte bis heute nicht gefunden und identifiziert werden. Der traumatische Verlust, den die Hinterbliebenen durchleben mussten, dauert in den Ländern des Cono Sur bis heute an.
Während der Diktaturen wie auch unter den zivilen Folgeregierungen wurden die Angehörigen von „Verschwundenen“ in besonderer Weise zum Zielobjekt der Desinformation. Zahlreiche Versuche, das Schicksal ihrer verschleppten Familienmitglieder aufzuklären, verloren sich im Lügengeflecht der Verantwortlichen, mit dem diese ihre Verbrechen zu verschleiern trachteten. Die Suche nach den in Haft Verschwundenen erwies sich als Kontinuum aus falschen Spuren und neuen Hoffnungen, aus Sackgassen und Frustration.
Auf der psychosozialen Ebene dauert dieser traumatische Prozess nicht nur unvermindert bis heute an; er hat unter den zivilen Regierungen sogar eine neue Qualität erreicht, da von ihnen erwartet wurde, zur Aufklärung der Schicksale beizutragen. Ihr Versagen und ihre Unwilligkeit, die Straflosigkeit zu beenden, wiegen daher umso schwerer, als es sich nicht selten um Regierungen handelt, die sich aus den Reihen derer zusammensetzen, die vormals gemeinsam mit den Angehörigenorganistionen die Diktaturen bekämpften. Ihre mangelnde Bereitschaft, die Wahrheit ans Licht zu bringen, wird nicht selten als Kollaboration gewertet. (Dorfman 2003 137f) „Sie haben uns 30 Jahre lang Lügen über Lügen erzählt“, klagt Luisa Cuesta über die Enttäuschung der uruguayischen Angehörigenvereinigung. „Das Militär hat uns belogen, die Polizei hat uns belogen, die Politiker haben uns belogen, und sie belügen uns noch heute.“ (Cuesta 2006)
Das Klima der Straflosigkeit und der fortdauernden Unklarheit über das Schicksal der verschleppten Familienmitglieder und Freunde verhindert eine effektive Trauerarbeit der Angehörigen von Verschwundenen und verlängert deren Vulnerabilität gegenüber Retraumatisierungen, mit der Gefahr einer Chronifizierung des Traumas. Trauerarbeit ist ein komplexer emotionaler und kognitiver Prozess. Sie verfolgt das Ziel, den Verlust anzuerkennen und nach und nach zu ertragen. Trauerarbeit spielt sich im sozialen Raum ab, aus dem Trost und Unterstützung erfahren werden kann. Dabei spielen u. a. Erinnerungsprozesse, Abschied nehmen und die Integration der erlittenen Verlustes in das eigene Ordnungs- und Wertesystem eine wesentliche Rolle. (Preitler, 2006: 36ff)
EATIP führt aus, dass die Trauerarbeit mit KlientInnen, die den Verlust eines nahestehenden Menschen durch „Verschwindenlassen“ erlitten hatten, deutlich erschwert ist. Der komplexe Verarbeitungsprozess von Schmerz und Trauer durchläuft unterschiedliche Stadien von Widerständen gegen eine Anerkennung des erlittenen Verlustes, von Zorn und von Ohnmacht. Man will und kann den Verlust zunächst nicht zulassen, schließlich aber gelingt es doch, die Realität zu akzeptieren. Im Falle der Angehörigen von Verschwundenen bleibt jedoch unklar, welche Realität denn überhaupt akzeptiert werden müsste (Kordon u. a. 2002: 87). Die vollständige Aufklärung des Schicksals der Verschwundenen wäre daher konstitutiv für eine Trauerarbeit der Angehörigen. (Preitler, 2006: 44) Im Rahmen der Straflosigkeit jedoch, ist die Wahrheitsfindung maximal erschwert und durch die offizielle Lüge ersetzt worden.
Die Wahrheit über das Schicksal der „Verschwundenen“ ist nicht nur unbekannt, sie wird zusätzlich verdeckt durch einen öffentlichen Diskurs der Ignoranz. Während die Diktaturen das systematische Verschwindenlassen von RegimegegnerInnen vollständig oder partiell negiert haben, begegneten die Angehörigen der offiziellen Propaganda schon in den ersten Diktaturjahren durch ihren Zusammenschluss zu Organisationen, deren bekannteste die argentinischen Mütter der Plaza de Mayo darstellen. Gemeinsam trieben sie ihre Nachforschungen voran und trugen kollektiv die Forderung nach Herausgabe der Verschleppten auf die Straße. Bis heute fordern Teile der Angehörigen die „lebendige Rückkehr“ der Verschwundenen und betonen symbolisch und politisch deren „Anwesenheit“. Diese Herangehensweise wurde nach der Rückkehr zur Demokratie kontrovers diskutiert, auch innerhalb der Organisationen, die sich u. a. in der Frage der Akzeptanz des Todes der Verschwundenen zerstritten. (Hauck & Huhle 1996: 117)
Während einige Autoren die Aktionsformen der Mütter, ihre strikte Zurückweisung jeder Form von Versöhnung und speziell ihre bis heute andauernde Negation der Ermordung ihrer Kinder kritisieren oder gar pathologisieren, sieht Preitler (2006: 123-128) in der Entprivatisierung von Schmerz und dessen Überführung in Protest eine kollektive Bewältigungsstrategie, die geeignet ist, ein gesundheitsförderndes Kohärenzgefühl herzustellen.
Einige Mütter sehen im Festhalten an der Präsenz ihrer Kinder vorwiegend eine symbolische Geste gegen das Vergessen und eine Formel für ihr Gedenken, das sie hartnäckig verteidigen gegen alle staatlichen Versuche, die Verschwundenen für tot erklären zu lassen. Außerdem legten sie beharrlich Wert darauf, dass die Festschreibung des Todes, das Verschwindenlassen zu einer lediglich weiteren Spielart des politischen Mordes nivellieren würde und das Verbrechen darüber seinen besonderen Charakter verlöre. Ihre Proteste gegen Exhumierungen wurden vielfach als irrational fehlinterpretiert, waren sie doch in Wirklichkeit maßgeblich dadurch begründet, dass die Exhumierungen nicht im Kontext von Strafprozessen gegen die Täter vorgenommen werden sollten. Tatsächlich aber haben fast alle Angehörigen mit den Jahren faktisch akzeptiert, dass ihre verschleppten Familienmitglieder nie wiederkehren werden. Selbst diejenige Strömung, die am radikalsten auf der „lebendigen Rückkehr“ bestehen, erklären zugleich, dass sie heute Mütter „aller Kinder“ seien und mit ihrem fortdauernden Einsatz für gesellschaftliche Veränderung jenen Kampf fortsetzen, für den ihre verschwundenen Angehörigen verschleppt, gefoltert und ermordet wurden. (Gúzman Bouvard 1994)
Es sind jedoch auch Beispiele dokumentiert, nach denen die Endgültigkeit des erlittenen Verlustes nicht akzeptiert werden konnte. Regner (2005: 290) berichtet von einer Mutter der Plaza de Mayo, die sich noch über mehr als zehn Jahre der trügerischen Hoffnung hingab und immer, wenn sie das Haus auch nur für kurze Zeit verließ, eine Nachricht für ihren verschwundenen Ehemann auf dem Küchentisch hinterließ.
In dieser Dynamik sind die Verschwundenen weder tot noch lebendig, sie sind abwesend und zugleich dauerhaft präsent. Dieser Konflikt zwischen Anwesenheit und Abwesenheit hat eine psychotisierende Wirkung auf die Angehörigen. (Kordon et al.: 86).
Und das Fehlen eines Beerdigungsrituals und eines Grabes verhindert das symbolische Moment des Abschiednehmens, dem nicht nur eine soziokulturelle Bedeutung, sondern auch eine hohe intrapsychische Relevanz bei der Akzeptanz des Verlustes zufällt. (Preitler, 2006: 45f)
Hinzu kommt die ständige
Unsicherheit, in welcher Weise das
eigene Handeln als Angehörige die Schicksale der
verschwundenen Verwandten
hätte beeinflussen können. Da die Unklarheit
über die Wahrheit bis heute
andauert, besteht auch der Selbstzweifel fort, ob der
persönliche Einsatz
vielleicht nicht ausgereicht hatte, Leiden und Tod der Verschleppten zu
verhindern oder zumindest die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Die psychosoziale Situation, in der
sich Angehörige von
Verschwundenen nunmehr oft über Jahrzehnte hinweg befinden,
ist geprägt durch
soziale Isolierung und Marginalisierung. Unter den Diktaturen wurde es
zu einem
gefährlichen Stigma, mit Verschwundenen verwandt zu sein. Die
Angst vor
weiterer Repression machte die Flucht in Schweigen und Selbstisolation
für
zahlreiche Angehörige zu einem Überlebensmechanismus.
Als Verstärker wirkte die
Fremdisolierung durch den Rückzug und die Entsolidarisierung
eines ebenfalls
verängstigten sozialen Umfeldes. Zahlreiche Familien verloren
ihren sozialen
Status. Bedingt durch die Straflosigkeit änderte sich diese
Situation auch nach
dem Ende der Diktaturen kaum und hält, besonders in den
ländlichen Gegenden,
bis heute an (Brinkmann 2005). In dieser Situation bedeutet die
andauernde
Suche nach den in Haft verschwundenen Angehörigen eine
fortwährend erhöhte
Verletzlichkeit für Retraumatisierungen. Und die Suche selbst
bedingt immer
wieder neue Konfrontationssituationen mit der Vergangenheit, die sich
als neue
traumatische Sequenz ereignen.
Als z.B. die chilenische Regierung 1999 einen Dialogtisch unter Beteiligung der Militärs einrichtete, begann für die Angehörigen eine in hohem Maße belastende Zeit, die eine Fülle seelischer Verletzungen bedingte. Der aus taktischen Gründen anlässlich der Verhaftung Pinochets in London eingesetzte Dialogtisch sollte offiziell zur Aufklärung des Schicksals der Verschwundenen beitragen. Real jedoch war damit die Intention verbunden, die im Zuge der Verhaftung des Diktators in Chile selbst angelaufene Klagewelle gegen Militärs zu stoppen, die auf dem Tatbestand des Verschwindenlassens als fortdauerndes Verbrechen basierte. Das Militär beabsichtigte, die Verschwundenen nominell für tot erklären zu lassen, ein Todesdatum vor 1978 offiziell über den Dialogtisch festzuschreiben und damit die Gerichte zur Einstellung der Verfahren zu bewegen. Denn datierten die zugegebenen Morde vor dem Jahr 1978, so fielen sie unter das Amnestiegesetz und die Täter sollten straffrei bleiben. (Rauchfuss 2001; Ekaizer 2003: 982)
Auf diese Weise entstand
für die Angehörigen die paradoxe
Situation, dass die von ihnen zunächst erhoffte
Annäherung an die Wahrheit um
den Preis des Verlustes von Gerechtigkeit erkauft werden sollte.
Madariaga
(2002: 81) schildert, dass sich die Entscheidungskonflikte quer durch
die
Familien zogen. Diejenigen, die in diesem ausweglosen Dilemma der
Wahrheitssuche den Vorrang gaben, erlitten einen zusätzlichen
Schlag, als schließlich
bekannt wurde, dass die militärische Seite den Dialogtisch im
Wesentlichen
genutzt hatte, um sich die Straflosigkeit auch noch durch systematisch
gefälschte Informationen über das Schicksal der
Verschwundenen zu erkaufen.
Zahlreiche Exhumierungsversuche liefen ins Leere, mit dramatischen
Konsequenzen
für die hoffenden Angehörigen. Im Therapiezentrum
CINTRAS machte sich der
Dialogtisch durch eine massive Reaktivierung klinischer Symptome bei
zahlreichen KlientInnen bemerkbar. Betroffen waren psychiatrische
Krankheitsbilder, reaktivierte intrapsychische Konflikte und
Störungen der
innerfamiliären Beziehungen. (Madariaga 2002: 73-76, 78-81)
Auch in Argentinien war
den Müttern der Plaza de Mayo oftmals in
betrügerischer Absicht der Tod ihrer
Kinder bescheinigt worden. Schon die Militärregierung hatte im
August 1979
versucht, aus „Verschwundenen“ per Dekret
„Vermutlich Tote“ zu generieren, um die
Aktivitäten der Mütter zu stoppen.
Während einzelne Mütter noch kurz vor dem
Machtwechsel Telefonanrufe ihrer inhaftierten Kinder oder
Tonbandaufzeichnungen
erhalten hatten, signalisierte auch die Regierung Alfonsín
unmittelbar nach
ihrem Amtsantritt, die Entführten seien wohl tot. Den
Müttern wurden Daten über
Gräber mit der Aufschrift „N.N.“
mitgeteilt, in denen ihre verschwundenen
Kinder angeblich zu finden seien. Im Zuge der Exhumierungen erhielten
einige
Mütter auch die schriftliche Aufforderung der Regierung, die
sterblichen
Überreste ihrer Kinder abzuholen und sich den Zugang zu einer
damit verbundenen
Entschädigungszahlung zu sichern. Dafür sollten sie
im Gegenzug unterzeichnen,
dass ihre Kinder im Zuge einer bewaffneten Auseinandersetzung mit den
Sicherheitskräften ums Leben gekommen seien.
Wieder andere Mütter erhielten 1984
unangekündigt Pakete mit der Post, in denen sich angeblich die
sterblichen
Überreste ihrer Kinder befanden. So berichtete Beatriz
Rubenstein, Präsidentin
der Mütter in La Plata, von einem Paket im November 1984, dem
ein Brief
folgenden Wortlautes beilag:
„Sehr geehrte Frau.
Als Antwort auf Ihre
unermüdliche Suche nach Ihrer Tochter Patricia, haben wir uns
entschieden,
Ihnen einen Teil ihrer Überreste zu schicken, welche ihren
Wunsch, mit Ihrer
geliebten Tochter wieder vereinigt zu werden, befriedigen sollen.
[…] Diese
Entscheidung wurde getroffen, nach einer Untersuchung ihrer
Leitungsfunktion in
einem Camp bewaffneter Guerillas. Falls Sie davon nichts gewusst haben
sollten,
führen wir hier die Verbrechen auf, die sie […]
begangen hat: Landesverrat,
Verschleierung feindlicher Aktivitäten, aktive Zusammenarbeit
mit den Mördern
der ‚Montoneros’. Aus diesem Grund wurde sie zum
Tode verurteilt. Mag Gott
ihrer Seele gnädig sein.“ Unterzeichnet
war der Brief mit „Kommandant Cóndor“,
und in dem Paket befanden sich einer forensischen Untersuchung zufolge
die
Knochen eines 20-40 Jahre alten Mannes. (Guzman-Bouvard 2004:138,
140,148)
Diese Beispiele machen deutlich, dass gerade das
Verschwindenlassen nicht nur ein andauerndes Verbrechen darstellt,
sondern
einen ständig erneuerten traumatischen Prozess nach sich
zieht, in dem es unter
den Bedingungen der Straflosigkeit zu keinem Zeitpunkt eine
„posttraumatische“
Phase geben kann.
Gerechtigkeit heilt: Memoria, verdad y justicia
Den umfassenden psychosozialen Folgen der Straflosigkeit schwerer Menschenrechtsverletzungen begegnen Menschenrechtsorganisationen und Angehörigengruppen mit der Formel „Memoria, Verdad y Justicia“ als Forderung nach einer umfassenden Vergangenheitspolitik, der neben dem Verlangen nach Gerechtigkeit auch die Elemente Wahrheitsfindung und das gesellschaftliche Gedenken an die Verbrechen angehören sollen, sowie strukturelle Reformen um eine Wiederholung der Verbrechen zu verhindern. Die Forderung nach einer Bestrafung der Täter steht dabei insofern im Vordergrund, als sie fast überall am schwierigsten umzusetzen scheint. (Straßner 2007: 28ff; Joinet 2002; Annan 2004)
Während
die krankheitsfördernde Wirkung der Straflosigkeit
mittlerweile als evident gilt, lässt sich jedoch angesichts
einer weitreichenden und weltumspannenden Kultur der Straflosigkeit nur
schwer
abschätzen, welches Ausmaß an gesundheitlicher
Stabilisierung tatsächlich aus
einer umfassenden Strafverfolgung
der
Täter resultieren würde. Trotz neuerer Entwicklungen
in den Ländern des Cono Sur,
die eine gewisse Erosion in
der jahrzehntelangen Kultur der Straflosigkeit bedeuten,
ließen sich
systematische empirische Untersuchungen bisher noch nicht realisieren.
Immerhin
konnten Beobachtungen, entlang der wenigen Gerichtsprozesse zeigen,
dass diese
positive Rückwirkungen für die Stabilisierung von
Überlebenden schwerer
Menschenrechtsverletzungen zufolge hatten (Rauchfuss & Schmolze
2008). Es
liegt daher nahe, dem Ende der Straflosigkeit eine
gesundheitsfördernde
Bedeutung in der Überwindung psychosozialer traumatischer
Prozesse beizumessen.
(Rauchfuss 2007)
Im Herbst 2005 haben sich daher
Menschenrechtsorganisationen, Angehörigengruppen,
Vereinigungen ehemaliger
politischer Gefangener, Therapiezentren und AnwältInnen aus 14
Ländern in einem
internationalen Netzwerk unter der Formel „Gerechtigkeit
heilt“ neu
zusammengeschlossen, um den gesundheitsrelevanten Aspekt der
strafrechtlichen
Verfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen stärker zu
betonen (http://www.gerechtigkeit-heilt.de).
Gemeinsam haben sie sich vorgenommen, die globale Kultur der
Straflosigkeit zu
bekämpfen (Bochumer Erklärung, 2005). In den
Folgejahren wuchs das Netzwerk auf
mittlerweile über 60 Organisationen aus 23 Ländern an.
Die Gruppen eint die Überzeugung,
dass, solange die Täter und die Verantwortlichen für
schwere
Menschenrechtsverletzungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden, der
Kampf
gegen Straflosigkeit nicht nur ein legitimer Einsatz zur Durchsetzung
von
Demokratie und Menschenrechten ist, sondern eine Notwendigkeit auch
für eine
nachhaltige Stabilisierung der Überlebenden. Denn „es besteht
nicht der geringste Zweifel, dass Gerechtigkeit – im
weitesten Sinne des Wortes, das heißt, als juristische,
soziale und moralische
Gerechtigkeit verstanden – eine Wiedergutmachungsfunktion
nicht nur für das
Individuum hat, sondern auch für die Gesellschaft.“ (Brinkmann, 2005)
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[1] Knut Rauchfuss ist Arzt und Journalist. Er war mehrere Jahre in Lateinamerika und im Mittleren Osten tätig und arbeitet seit der Gründung 1997 für die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V. Dort ist er für die Menschenrechtsarbeit und unter anderem auch für die Kampagne "Gerechtigkeit heilt" verantwortlich. <http://www.gerechtigkeit-heilt.de> Email: k.rauchfuss@gerechtigkeit-heilt.de
(erschienen in: peripherie 109/110 2008)