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Kampagne gegen die Straflosigkeit

Gerechtigkeit heilt

Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V.

Ein wichtiger Sieg für die Gerechtigkeit
Amnestiepolitik der südafrikanischen Anklagebehörde für verfassungswidrig erklärt

Von Bianca Schmolze, Projektleiterin „Gerechtigkeit heilt“

Ein Aufatmen ging durch die Reihen all jener, die Verbrechen der Apartheid überlebten und seit Jahrzehnten Gerechtigkeit fordern. Am 12. Dezember 2008 entschied das Hohe Gericht in Pretoria, die Anklagepolitik der Nationalen Anklagebehörde (NPA) für verfassungswidrig zu erklären. Sie bedeute eine de facto Amnestierung von Verbrechen gegen die Menschheit, die während der Apartheid begangen wurden. Damit scheint die Möglichkeit, Täter vor Gericht zu bringen, 20 Jahre nach Beendigung der Apartheid so nah wie nie zuvor. „Es gibt keine Ausreden mehr“, betont Marjorie Jobson, Vorsitzende der Überlebendenorganisation Khulumani Support Group.  „Nach so vielen Jahren verdienen die Überlebenden ihren Tag im Gericht.“

Noch vor einem Jahr schien es, dass die von Überlebenden und Angehörigen der Opfer seit langem geforderte strafrechtliche Verfolgung von Verantwortlichen für Apartheid-Verbrechen systematisch verhindert werden sollte. Vor allem seitdem die südafrikanische Regierung Ende 2005 eine Veränderung der nationalen Anklagerichtlinien bekannt gegeben hatte, befürchteten Überlebende und Angehörige von Opfern eine Neuauflage des Amnestieprozesses der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC). Zwar besagten die Übergangsverfassung von 1993 sowie das Gesetz zur Förderung der Nationalen Einheit und Versöhnung, dass Täter, die vor der Kommission keinen Antrag auf Amnestie gestellt hatten oder deren Antrag abgelehnt worden war, nach dem Mandatsende der TRC strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen seien. Anlässlich der Veröffentlichung des Abschlussberichtes der TRC erklärte der damalige Präsident Thabo Mbeki jedoch im April 2003, dass die Regierung Schritte plane, um Tätern, die nicht mit der Wahrheitskommission kooperiert hatten, weiterhin Straffreiheit zu gewähren.
Der Nationale Direktor der Anklagebehörde erhielt in der Folge das Mandat, unter bestimmten Bedingungen auf die strafrechtliche Verfolgung von Verdächtigen verzichten zu können. Der Bedingungskatalog der NPA liest sich wie das Statut der TRC. Nur jene, die sich bereit erklären, umfassend zu gestehen, Reue zu zeigen und den südafrikanischen Versöhnungsprozess zu unterstützen, können demnach von einer Strafverfolgung befreit werden. Die Aussagen der Täter sowie die Entscheidung darüber, ob ein Verfahren eröffnet wird oder nicht, sollen jedoch hinter verschlossenen Türen stattfinden, während der Amnestieprozess der TRC öffentlich war und Überlebende dort gar die Möglichkeit hatten, die Täter zu befragen.

Daraufhin reichten Überlebende und Angehörige von Opfern Klage ein gegen die Nationale Anklagebehörde, das Justizministerium sowie gegen die mutmaßlichen Täter. (ak 520) Zu den KlägerInnen gehörten die Familienangehörigen der während der Apartheid ermordeten und noch heute verschwundenen Nokuthula Aurelia Simelane, die Angehörigen der als Cradock Four bekannt gewordenen ermordeten ANC Aktivisten sowie die Überlebendenorganisation Khulumani Support Group mit Unterstützung des Zentrums zur Untersuchung von Gewalt und Versöhnung (CSVR) sowie des International Center for Transitional Justice (ICTJ). Die veränderten Richtlinien der Anklagebehörde seien verfassungswidrig, verletzten die Würde der Überlebenden sowie internationales Recht und unterliefen zudem die Unabhängigkeit der Justiz, hieß es in der Klage. Dabei hoben die KlägerInnen stets darauf ab, dass es nicht darum gehe, das in der Verfassung verankerte Recht der NPA anzugreifen, ein laufendes Verfahren einzustellen. Vielmehr klage man gegen die Möglichkeit, zu entscheiden, gegen einen Täter überhaupt kein Verfahren zu eröffnen.
Demgegenüber argumentierten die Beklagten, dass die NPA nicht die Absicht habe, je eine solche Entscheidung zu treffen. Dies habe man noch im Sommer 2007 im Fall des ehemaligen Justizministers Adriaan Vlok sowie des ehemaligen Polizeichefs Johan van der Merwe bewiesen, als man beide in einem Gerichtsprozess für Apartheid-Verbrechen verurteilte. Man habe gegen sie prozessiert, da sie ihr Wissen gegenüber der NPA nur ungenügend offen gelegt hatten. Dennoch profitierten die Angeklagten von ihrer Zusammenarbeit mit der Anklagebehörde, denn immerhin erhielten sie mit zehn Jahren Haft auf Bewährung nur sehr milde Haftstrafen für den Mord an dem ehemaligen Generalsekretär des Südafrikanischen Kirchenrates Frank Chikane.

Das Gericht in Pretoria erkannte die Argumentation der Beklagten nicht an. Bei dem Verfahren gehe es schließlich darum, grundsätzlich zu überprüfen, ob die NPA über das Recht verfügen darf, über die Nicht-Einleitung von Verfahren zu entscheiden. In seinem Urteil übernahm der zuständige Richter des Hohen Gerichts in Pretoria, Richter Legodi, sämtliche Argumente der KlägerInnen: Die veränderten Anklagerichtlinien widersprächen der südafrikanischen Verfassung und seien gleichbedeutend mit einer de facto Straffreiheit, die nicht nur internationale Rechtsstandards, sondern auch elementare Rechte von Überlebenden und Angehörigen der Opfer verletze. Die Gewährung von Amnestien während des TRC-Prozesses habe dem Übergang Südafrikas gedient und war zeitlich begrenzt. Eine systematische Amnestierung der Täter käme einem Verrat gleich sowohl an dem neuen Südafrika als auch an der Arbeit der TRC. Darüber hinaus stellte das Gericht fest, dass die Veränderung der Anklagerichtlinien ausschließlich dem Zweck diente, ehemaligen Mitgliedern der Sicherheitskräfte oder der ehemaligen Parteien des Apartheidsystems Straffreiheit zu gewähren, damit die Regierung auch weiterhin von ihrem politischen sowie ökonomischen Einfluss profitieren könne.

Anfang Januar haben die NPA und das Justizministerium Berufung eingelegt und angedroht, bis vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Es scheint, als ob die Regierung alles daran setzt, die Amnestierung der Täter auch zukünftig betreiben zu können. Dabei schreckt sie nicht vor einer unmittelbaren Beeinflussung der Justiz zurück. Sollte die Berufung jedoch nicht den gewünschten Erfolg erzielen, sollte erneut ein engagierter Richter wie Richter Legodi für die Rechtsstaatlichkeit in Südafrika urteilen, könnte der Weg für Prozesse gegen Apartheid-Täter für die Überlebenden endlich frei werden.

(veröffentlicht in: ak 536 vom 20.02.2009)


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