Koalition gegen Straflosigkeit
Reden von Bianca Schmolze und Knut Rauchfuss, MFH Bochum e.V.
anlässlich der Ausstellungseröffnung
(http://www.menschenrechte.org/Koalition/PDF/Ausstellung-E_Kaesemann.pdf)
Gelsenkirchen, 21. Oktober 2007
Sehr geehrte Damen und Herren,
Es ist uns eine große Ehre, als VertreterInnen der Koalition
gegen Straflosigkeit gemeinsam mit Ihnen die Ausstellung zum Gedenken
an das Leben von Elisabeth Käsemann heute hier zu eröffnen,
und wir danken ganz herzlich all jenen, die es möglich gemacht
haben, die Ausstellung hier in Gelsenkirchen zu zeigen.
Der Titel dieser Ausstellung macht bereits deutlich, was Elisabeth
Käsemann in ihrem Leben als politisch engagierte Frau wichtig war:
die Solidarität mit den Menschen in Lateinamerika. Nachdem sie
zunächst nach Bolivien gegangen war, um mit Kindern, die in
Elendsvierteln lebten, zu arbeiten, ging sie nach Buenos Aires, um zu
studieren, als Übersetzerin ein wenig Geld zu verdienen und in den
dortigen Elendsvierteln Kindern das Lesen und Schreiben beizubringen.
Als im Jahr 1976 das Militär in Argentinien die Macht
übernahm, begann Elisabeth in einem Untergrundnetzwerk
mitzuarbeiten, welches Menschen, die von dem Regime bedroht waren,
ermöglichte, ins Ausland zu fliehen.
Doch wurde ihr Engagement für Gerechtigkeit und Menschlichkeit nie
als solches bewertet. Stattdessen wurde Elisabeth für ihre Arbeit
als so genannte Terroristin verfolgt. Damit riskierte sie ihr Leben.
Am 9. März 1977 wird Elisabeth von Militärs verhaftet und in
die Kaserne der Ersten Armeekommandantur Palermo gebracht. Dort wird
sie ununterbrochen gefoltert. Ihre Freundin Diana Austin, ebenfalls
verhaftet, kann sie hören. Nach zwei Monaten wird Elisabeth in das
berüchtigte Konzentrationslager El Vesubio überführt, wo
Folter, Vergewaltigungen und andere Formen von Misshandlungen an der
Tagesordnung standen.
Am 23. Mai 1977 wird Elisabeth gemeinsam mit anderen 15 Gefangenen von
Militärs ein letztes Mal abtransportiert. In Monte Grande wird sie
unter dem Vorwand einer angeblichen bewaffneten Auseinandersetzung
zwischen linken Extremisten und Militärs kaltblütig von
hinten erschossen.
Die Ausstellung „Ein Leben in Solidarität mit
Lateinamerika“ zeichnet nicht nur den Weg des Leids auf, den
Elisabeth Käsemann in Argentinien gehen musste, sondern auch jenen
ihrer Familie und FreundInnen, die sich für ihr Leben einsetzten
und auch heute noch für eine juristische Aufarbeitung des
Verbrechens kämpfen:
Den Weg ihrer Freundin Diana Austin, die die Eltern von Elisabeth davon
unterrichtete, dass ihre Tochter von Militärs verschleppt worden
war, und sich bereits im selben Jahr an Amnesty International wandte,
um die Deutsche Botschaft in Argentinien unter Druck zu setzen, sich um
die Freilassung Elisabeths zu bemühen.
Den Weg der Eltern, die immer wieder versuchten, die Deutsche Botschaft
in Buenos Aires dazu zu bewegen, Auskunft über den Verbleib ihrer
Tochter zu geben. Doch stattdessen mussten sie dabei zusehen, dass von
Seiten der Botschaft keinerlei Schritte unternommen wurden. Stattdessen
erhielten die Eltern auf ihre Anfragen keine Antworten, sondern nur
Leugnungen und Lügen.
Der Weg des Vaters, Ernst Käsemann, der den Leichnam seiner
Tochter freikaufen musste, um ihn erneut obduzieren und beerdigen zu
können. Während all der Jahre musste er mit ansehen, wie die
deutsche Politik Wirtschaftsinteressen vor Menschenrechte stellte. Denn
um Atom- und Waffengeschäfte nicht zu gefährden,
unterließen es die deutschen Behörden, ihrer Hilfspflicht
für eine deutsche Staatsbürgerin nachzukommen. Das
unmenschliche Verhalten ging sogar so weit, dass die Nachricht
über den Tod Elisabeth Käsemanns erst sechs Tage nach ihrer
Ermordung von der Deutschen Botschaft bekannt gegeben wurde – nur
um das angesetzte Freundschaftsspiel der deutschen und argentinischen
Fußballmannschaft nicht zu gefährden.
Erst der Weg, den die Familie von Elisabeth Käsemann gemeinsam mit
der Koalition gegen Straflosigkeit gegangen ist, konnte einige Erfolge
in der juristischen sowie gesellschaftlichen Aufarbeitung ihres Falls
verzeichnen.
Hierzu nun: Knut Rauchfuss …
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
Argentinien 1976:
Seit dem 24. März rollen Panzer durch die Straßen von Buenos
Aires. Rund um die Uhr werden Menschen aus ihren Häusern
verschleppt. Andere kidnappen die Geheimkommandos aus Militär und
Polizei an ihren Arbeitsplätzen oder zerren sie auf offener
Straße in Autos ohne Kennzeichen. Wann immer grüne
Limousinen der Marke Ford Falcon in eine Straße einbiegen,
müssen dort Menschen um ihr Leben fürchten. Die mit diesen
Wagen Entführten „verschwinden“ in den geheimen
Folterzentren der Diktatur. Angehörige suchen verzweifelt nach
ihren Lieben – doch ihre Rufe prallen ab an den Mauern der
Lüge und nicht selten werden sie selbst bedroht und verschleppt.
Mehr als 30.000 so genannte „Verschwundene“ gehen auf das
Konto der Diktatur: eine ganze Generation politischer AktivistInnen aus
Gewerkschaften, Parlamenten, Basisorganisationen, Schulen und
Hochschulen sowie JournalistInnen kritischer Medien. Im so genannten
„schmutzigen Krieg gegen die Subversion“ beseitigte die
Militärjunta die kritischen Stimmen der Gesellschaft, statt sie zu
verhaften und ihnen offiziell den Prozess zu machen. Die
wenigsten von ihnen wurden jemals wieder gesehen. Tausende Leichen
wurden in anonymen Massengräbern verscharrt – andere
verließen die Folterzentren zunächst lebend. Man verlege sie
in den Süden des Landes, wurde ihnen noch gesagt, bevor sie
betäubt, in Flugzeuge verfrachtet und bei Morgengrauen über
der Mündung des Rio de la Plata lebendig ins Meer geworfen wurden.
Wieder andere wurden offiziell als so genannte
„TerroristInnen“ erschossen. Sie waren die Erfolgsmeldungen
im „schmutzigen Krieg“ gegen den Terror – wie das
damals schon hieß.
Eine dieser so genannten „TerroristInnen“ war Elisabeth
Käsemann, der wir heute hier in ihrer Geburtsstadt gedenken und
der diese Ausstellung .gewidmet ist. Wie die anderen 30.000 Ermordeten
war auch Elisabeth schuldig, eine andere Welt für möglich zu
halten – schuldig ihr Leben für die Gestaltung einer Zukunft
in Würde einzusetzen.
Seit mehr als dreißig Jahren fordern die Überlebenden und
die Angehörigen der Opfer dieses schmutzigen Krieges
„Wahrheit“ und „Gerechtigkeit“. Aber auch nach
dem offiziellen Ende der argentinischen Diktatur im Jahr 1983, gelang
es dem Militär, sich durch Drohungen und Aufstände die
Straffreiheit für die Diktaturverbrechen zu sichern. Fast zwei
Jahrzehnte lang verhallte die Forderung nach der Bestrafung der
Täter. Doch die Mütter und Großmütter der Plaza de
Mayo – wie sich die beiden bedeutendsten
Angehörigenorganisationen nennen – blieben dabei: „Wir
vergessen nicht – wir vergeben nicht: Gerechtigkeit jetzt!“
hielten sie Tag für Tag auch den zivilen Machthabern weiter
entgegen.
Angesichts der umfassenden Kultur der Straflosigkeit im eigenen Land,
entschieden sich die Angehörigen ab 1996, Gerechtigkeit vor
ausländischen Gerichten zu suchen, und reichten Klagen in Spanien,
Italien, Frankreich, Schweden und ab 1998 auch in Deutschland ein.
Um diese Klagen zu unterstützen, gründete sich im selben Jahr
hier in Deutschland die „Koalition gegen Straflosigkeit“,
ein Arbeitsbündnis mehrerer Kirchen-, JuristInnen- und
Menschenrechtsorganisationen, das mit vollem Namen
„Koalition gegen Straflosigkeit – Wahrheit und
Gerechtigkeit für die deutschen und deutschstämmigen
Verschwundenen in Argentinien“ heißt.
Warum diese Beschränkung auf Verschwundene mit deutschem Ursprung?
Um ein im Ausland begangenes Verbrechen hier in Deutschland zur Anklage
bringen zu können, war es nach hiesiger Rechtslage erforderlich,
dass entweder Täter oder Opfer Deutsche sein mussten.
In enger Zusammenarbeit mit den Angehörigen wurden die Klagen
vorbereitet. Das Strafverfahren in Deutschland begann formal am 07. Mai
1998, dem Tag, an dem die „Koalition gegen Straflosigkeit”
dem Bundesjustizministerium die Strafanzeigen der vier ersten
Fälle von deutschen Opfern aushändigte.
Nach einem etwas zögerlichen Beginn waren über mehrere Jahre
drei Staatsanwälte in Nürnberg-Fürth mit Ermittlungen
gegen 89 Militärs beschäftigt. Dort, sowie in der Deutschen
Botschaft in Buenos Aires, wurden circa 50 Personen als ZeugInnen
vernommen. Unter ihnen befanden sich Überlebende der
Militärdiktatur, Familienangehörige und ExpertInnen.
Zahlreiche Gerichtsurteile aus verschiedenen Ländern wurden durch
die Nürnberger Staatsanwaltschaft ausgewertet.
Insgesamt brachte die Koalition 34 Fälle von Verschwundenen und
Ermordeten zur Anzeige, darunter auch den Mord an Elisabeth
Käsemann. Das Verfahren wegen der an Elisabeth Käsemann
begangenen Verbrechen und das des ermordeten Studenten Klaus Zieschank
markieren auch die größten Erfolge, die die Koalition
politisch und juristisch erzielen konnte:
Denn zwischen Sommer 2001 und Herbst 2003 erließ das Amtsgericht
Nürnberg-Fürth internationale Haftbefehle gegen die
ehemaligen Juntachefs Videla und Massera sowie gegen den Ex-General
Suárez Mason wegen der Ermordung von Elisabeth Käsemann und
Kaus Zieschank. Es folgte die Ausschreibung zur Fahndung über
Interpol. Das Auslieferungsgesuch der Bundesregierung wurde dem
argentinischen Außenministerium im März 2004 übergeben
und von dort umwendend abgelehnt. Als einzige westeuropäische
Regierung legte die Bundesregierung jedoch Rechtsmittel ein. Nach drei
Jahren erfolgte in Argentinien die letztinstanzliche
Gerichtsentscheidung: Die Mörder von Elisabeth Käsemann, von
Klaus Zieschank und Abertausenden weiterer Opfer werden nicht nach
Deutschland ausgeliefert.
Ein weiteres Mal gingen damit die Verantwortlichen für den Mord an
Elisabeth Käsemann und Klaus Zieschank straffrei aus. Die
übrigen 32 Ermittlungsverfahren hatte die Staatsanwaltschaft
Nürnberg bereits eingestellt.
Die Begründung, die das argentinische Gericht gegen eine
Auslieferung anführte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie:
„Argentinien hat sich entschieden“, so das Oberste Gericht,
„die Verbrechen gegen die Menschheit im eigenen Land zu
verfolgen.“ Das Verfahren gegen Ex-Juntachef Videla, auf das
dabei verwiesen wurde, schleppt sich jedoch seit Juli 1998 hin und
wurde wegen Kindesentführung eingeleitet, ein Delikt, das schon
damals nicht unter die Amnestiegesetze fiel und dennoch bis heute nicht
geahndet wurde.
Und doch markiert die Urteilsbegründung nicht nur die
Fortschreibung der Straflosigkeit für die Juntachefs, denn die
Vorraussetzungen, allen Verantwortlichen den Prozess zu machen, sind
mittlerweile tatsächlich auch in Argentinien gegeben.
Präsident Kirchner hat – unterstützt durch Parlament
und Gerichte – sämtliche von seinen Vorgängern
erlassenen Straflosigkeitsgesetze und Begnadigungen aufgehoben und
rückgängig gemacht. Einunddreißig Jahre nach dem
blutigen Putsch müssen sich die ersten Täter heute vor
argentinischen Gerichten verantworten. Mehr als eintausend
Ermittlungsverfahren gegen mehr als fünfhundert Militärs sind
mittlerweile anhängig. Rund dreihundert Prozesse wurden
eröffnet. Aber bislang wurden erst drei Täter
letztinstanzlich verurteilt. Die Mörder von Elisabeth
Käsemann sind noch nicht darunter.
Mit den internationalen Prozessen konnte die „Koalition gegen
Straflosigkeit“ einen kleinen Beitrag dazu leisten, die
Straflosigkeit in Argentinien aufzubrechen. Das eigentliche Verdienst
aber gehört den Angehörigen der Verschwundenen, die ihr Ziel
niemals aus den Augen verloren haben, die keine Minute davon
abließen, „Wahrheit und Gerechtigkeit“ zu fordern,
die nicht vergeben und nicht vergessen haben.
Und wenn wir heute hier in Gelsenkirchen an Elisabeth Käsemann und
die 30.000 anderen Opfer der argentinischen Diktatur erinnern, dann
auch, weil wir zeigen wollen, dass auch wir diejenigen, die in der
Vergangenheit verschleppt, gequält und ermordet wurden, nicht
vergessen dürfen – ebenso wenig wie diejenigen, die noch
heute in geheimen Folterzentren verschwinden. Nur die Erinnerung,
unsere Erinnerung, der alltägliche Kampf gegen Abstumpfung und
Vergessen, die stetige Suche nach Wahrheit und die konsequente
Forderung nach einer Bestrafung der Täter, kann dazu führen,
dass sich eines Tages – nicht nur in Argentinien – die
Folterer und Mörder für ihre Verbrechen verantworten
müssen.
Die Ausstellung ist vom 28.10. bis 4.11., jeweils samstags und sonntags von 11.00 bis 17.00 Uhr geöffnet.
Elisabeth Käsemann-FBS
Pastoralstraße 8-10, 45879 Gelsenkirchen