Ein Beitrag von Bianca Schmolze und ein Interview mit dem paraguayischen Richter Gustavo Santander Dans , das eine Delegation der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum im März 2006 in Asunción führen konnte
Als Martin Almada im Dezember 1992 die Tür zum Hinterzimmer der Polizeikaserne von
Lambaré, einem Vorort der paraguayischen Hauptstadt Asunción, aufbrach, konnte er
nicht erahnen, was ihn erwarten würde. Der Menschenrechtsaktivist sackte schreiend zusammen,
als er das Ausmaß seiner Entdeckung ermessen konnte. Gemeinsam mit einem Richter und anderen
MenschenrechtsaktivistInnen hatte sich Almada auf die Suche nach den Akten der Geheimpolizei des
drei Jahre zuvor gestürzten Stroessner-Regimes begeben, welches das Land von 1954 bis 1989
terrorisiert hatte.
Almada selbst wurde von 1974 bis 1977 in einem geheimen Folterzentrum des Landes gefangen gehalten
und seine Ehefrau Celestina Perez, wenige Monate nach seiner Verschleppung, durch die Geheimpolizei
der Diktatur ermordet.
Noch während seiner Haft hatte Almada beschlossen, die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.
Nach seiner Freilassung gelang es Almada vom französischen Exil aus, sich im Zuge jahrelanger
Recherchearbeiten interne Dokumente der paraguayischen Polizei zu verschaffen, durch die er
entscheidende Informationen über Aufbau und Struktur der geheimen "Operation Condor" erhielt,
deren Opfer sowohl er als auch seine Frau geworden waren. Heute, vierzehn Jahre nach der Entdeckung
der Archive in Lambaré, sind zahllose Einzelheiten über die "Operation Condor" bekannt.
In verschiedenen Nachbarländern werden die Verantwortlichen nach und nach zur Rechenschaft
gezogen. In Paraguay jedoch ist bislang kein einziger Täter hinter Gittern. Dennoch konnten mit
Hilfe der Archive erste zaghafte Erfolge im Kampf gegen Straflosigkeit erzielt werden.
Die "Operation Condor" umfasste in den 1970er und 1980er Jahren den grenzenübergreifend
organisierten Staatsterrorismus der Militärdiktaturen des Cono Sur. Nach 1973 wurde mit den
Militärputschen in Chile und Uruguay ein internationales Netzwerk von Sicherheitskräften
im Süden Lateinamerikas aufgebaut. Besonders seit 1975 dehnte die chilenische Geheimpolizei
DINA ihre Aktivitäten in andere Länder des Kontinents aus. Die repressive Zusammenarbeit
mit den umliegenden Diktaturen Boliviens, Brasiliens, Paraguays und Uruguays sowie mit dem noch
formaldemokratischen Nachbarn Argentinien wurde systematisch ausgebaut. Sie erreichte ihren
höchsten Grad krimineller Aktivität nach dem Militärputsch in Argentinien im Jahr
1976.
Die "Operation Condor" wurde initiiert und geleitet von der chilenischen DINA, aber alle
Sicherheitskräfte der genannten Länder haben aktiv an ihr mitgewirkt. Sie suchten,
entführten, folterten und töteten politische Flüchtlinge, die es geschafft hatten,
aus ihrem jeweiligen Land zu entkommen, und Exil fanden in anderen Staaten des Cono Sur, zumeist in
Argentinien.
Die Anzahl der Opfer der "Operation Condor" konnte nie beziffert werden. In der gesamten Region
wurden mehr als 40.000 Personen entführt und getötet - so genannte
„Verschwundene“ -, die meisten von ihnen in Argentinien. Hier leben auch rund 500
adoptierte Kinder von "verschwundenen" Gefangenen, Kinder, die in den Händen ihrer
Entführer seit 30 Jahren leben.
Morde und Mordversuche an prominenten ExilpolitikerInnen fanden nicht nur in den Ländern
Lateinamerikas statt, sondern auch in Italien, Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika.
Einige der berühmtesten Opfer sind der ehemalige chilenische Innenminister und Armeechef der
Regierung Allende, General Carlos Prats, und seine Frau Sofia Cuthbert, die in Buenos Aires 1974
getötet wurden, und der ehemalige Präsident Boliviens, Juan Jose Torres, der 1976
ebenfalls dort ermordet wurde. Im selben Jahr wurden in Argentinien der ehemalige
Parlamentspräsident Uruguays, Hector Gutierrez Ruiz, und der uruguayische ehemalige
Erziehungsminister, Zelmar Michelini, entführt, gefoltert und ermordet.
Jahrzehntelang waren Charakter und Umfang der Operation Condor zwar im Grundsatz bekannt, es fehlte
jedoch die Möglichkeit, gerichtsverwertbare Beweise für die Geheimdienstoperation
beizubringen. Als Martin Almada 1989, nach dem Sturz des Stroessner-Regimes, aus dem Exil
zurückkehrte, wusste er, wo er die Suche nach diesen Beweisen beginnen musste. Den letzten
entscheidenden Hinweis erhielt er durch einen anonymen Anruf im Dezember 1992, der ihn auf eine
Polizeistation in Lambaré aufmerksam machte.
Hauptsächlich erwartete Almada, im dortigen Archiv seine eigene Akte zu finden. Doch das, was
er in dem Hinterzimmer der Polizeikaserne entdeckte, erwies sich als vollständiges Archiv der
Geheimpolizei des Regimes und enthielt nicht nur die Akten der Gefangenen, sondern auch die
Tonaufzeichnungen der Folterverhöre, die Namen der Täter und den internationalen
Schriftwechsel der Geheimoperation Condor.
Die heute unter dem Namen "Archiv des Terrors" geführte Dokumentationsstelle im Justizpalast
des Landes stellt mit ihren mehr als 700.000 Einzelakten die umfangreichste öffentlich
zugängliche Informationsquelle des Kontinents dar, um zu belegen, wie der Staatsterrorismus in
den Ländern des Cono Sur funktionierte und wer für die organisierten Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, die von den Diktaturen Paraguays, Chiles, Argentiniens, Uruguays und Boliviens
begangen wurden, verantwortlich ist.
Nach 1992 konnte Almada weitere Teilarchive finden und sicherstellen, zuletzt im Jahr 2002. Diese
jüngeren Dokumente belegen, dass selbst nach dem Sturz Stroessners die
Überwachungsmechanismen gegen Oppositionelle grenzüberschreitend fortgeführt wurden.
Mit dem Fund der Archive konnten entscheidende Wendungen im Kampf gegen die Straflosigkeit in den
Ländern der "Operation Condor" eingeleitet werden. Martin Almada reiste in die
Nachbarländer des Cono Sur und nach Europa, um den jeweiligen Richtern, die in Fällen von
Völkermord, Folter und Staatsterrorismus ermitteln, Beweise aus den Archiven zu übergeben.
So waren es vor allem die Beweise der "Archive des Terrors", die im Fall gegen den chilenischen
Ex-Diktator Augusto Pinochet von dem spanischen Richter Baltazar Garzón im Jahr 1999 in der
Anklageschrift aufgeführt wurden. Und auch die argentinischen Gerichte stützen ihre
Anklagen maßgeblich auf die Beweismittel aus Asunción.
Doch auch auf die paraguayische Zivilgesellschaft verfehlte die Entdeckung der Archive ihre
Bedeutung im Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit nicht. 1994 wurde die paraguayische
Zweigstelle der Amerikanischen Juristenvereinigung gegründet, die eine Reihe symbolischer
Tribunale gegen hochrangige Militärs organisierte.
Begonnen wurde mit Stroessners Polizeichef, General Ramon Duarte Vera, der als Cheffolterer des
Regimes galt. Das Tribunal verurteilte ihn, und obwohl dieses Urteil keine unmittelbare rechtliche
Wirkung hatte, waren die Beweise so erschlagend, dass er anschließend vor ein offizielles
Gericht gestellt und zu 13 Jahren Haft verurteilt wurde. Doch erkannte er das Urteil nie an. Immer
wieder ging er in Berufung mit dem Argument, dass die Verbrechen bereits verjährt seien.
Auch der bereits verstorbene Chef der Armee und des militärischen Geheimdienstes, General
Guanes Serrano, kam so zu seiner Verurteilung.
Bereits 1990 reichte Martin Almada Klage gegen den Ex-Diktator Alfredo Stroessner und General Fretes
Davalos ein. Davalos war unter Stroessner Oberster Befehlshaber der Armee und wird in den
Archivdokumenten unter dem Decknamen "Condor Nr.1" geführt. Almadas Klage behandelt zum einen
die Ermordung seiner Ehefrau Celestina Perez, sowie seine eigene Gefangenschaft, die erlittene
Folter und die unrechtmäßige Konfiszierung seiner Güter. Darüber hinaus wendet
sich die Klage an die Verantwortlichen für das Verschwindenlassen, exemplarisch entlang der
Fälle von Federico Tatter, Ignacio Sarmento und Oscar Luis Rojas.
Die Klage stagnierte, bis vor einigen Jahren der Untersuchungsrichter Santander Dans den Fall
übernahm. In seinen Händen befinden sich Fälle von Folter, Verschwindenlassen,
Korruption. Die Klagen richten sich nicht nur gegen Stroessner und General Davalos, sondern auch
gegen eine Anzahl von rund 30 Militärs, die im Rahmen der Operation Condor
Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben. Im April vergangenen Jahres gelang Richter
Santander, was keiner seiner Vorgänger vollbracht hatte: Er stellte General Davalos unter
Hausarrest (siehe Interview).
Trotz dieser jüngsten Entwicklungen bleibt die strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen gegen
die Menschlichkeit in Paraguay noch immer ein schwieriges Unterfangen. Dabei gibt es weder
Amnestieregelungen noch Schlusspunktgesetze, keine Immunität oder sonstige Schutzmechanismen,
mit deren Hilfe die Täter in Nachbarländern ihre Straffreiheit sichern. "Und dennoch ist
die Straflosigkeit perfekt", empört sich die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Maria
Stella Caceres. Gemeinsam mit Almada hat sie in diesem März das "Museum für Erinnerung" in
einem ehemaligen geheimen Haftlager im Zentrum von Asunción eröffnet.
Als im Oktober 2003 ein Gesetz verabschiedet wurde, das zur Einrichtung einer "Kommission für
Wahrheit und Gerechtigkeit" führte, waren die Hoffnungen groß. Menschenrechts- und
Angehörigenorganisationen hatten lange für einen solchen Schritt gekämpft. Die
Kommission sollte endlich die Wahrheit über die Verbrechen ans Licht bringen, den
Überlebenden die Anerkennung ihrer traumatischen Erlebnisse ermöglichen und die Grundlage
für eine juristische Aufarbeitung der Vergangenheit bilden. Die Kommission nahm 2004 ihre
Arbeit auf. Die Verbrechen, die sie untersucht, erstrecken sich von Haft und Folter über das
Verschwindenlassen von Oppositionellen bis hin zum Exil, welches ebenfalls klar als
Menschenrechtsverletzung gewertet wird.
Das Mandat der Kommission ist weit gefasst und unterliegt, anders als in anderen Ländern,
keinerlei Restriktionen. So ist es zum Beispiel nicht verboten, die Namen der Täter
öffentlich zu benennen.
Trotz dieser fortschrittlichen Charakteristika ist die Kommission jedoch kaum fähig, die ihr
gestellte Aufgabe zu bewältigen. Innerhalb des sehr beschränkten Zeitraumes von 18 Monaten
soll sie die zwischen Mai 1954 und Oktober 2003 begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit
untersuchen. Ressourcen oder auch juristische Mittel wie beispielsweise Vorladungen, um
Täteraussagen zu erlangen, stehen der Kommission nicht zur Verfügung. Es gibt zwar einige
dezentrale Büros, doch reicht der Etat für die notwendigen Reisekosten nicht aus. Auch die
Aufnahme von Zeugenaussagen von im Exil lebenden ParaguayerInnen kann nicht vorgenommen werden, da
die Kommission nicht über die notwendige Infrastruktur verfügt und darüber hinaus den
Botschaftsangestellten nicht vertrauen kann. Lediglich in Buenos Aires, wo noch immer ein
Großteil der paraguayischen Flüchtlinge und ihrer Nachkommen lebt, wird in diesem Sommer
eine öffentliche Anhörung stattfinden, während derer Zeugenaussagen aufgenommen
werden sollen.
Ein wesentliches Hindernis für die Effektivität der Kommission sind die ihr
angehörigen RegierungsvertreterInnen, die sich kaum aktiv beteiligen. Alle Arbeit lastet auf
den VertreterInnen der Nichtregierungsorganisationen, die mit hohem Einsatz versuchen, doch noch
einen Abschlussbericht zu verfassen, da sie wissen, welche Bedeutung dieser für eine
juristische Verfolgung der Täter haben könnte.
Zurzeit kämpft die Kommission um eine Verlängerung ihres Mandates. Allerdings wird damit
gerechnet, dass die Arbeit trotz aller Bemühungen im August diesen Jahres enden muss. Daher
werden trotz solidarischer Zuarbeit auch aus den Reihen der paraguayischen
Menschenrechtsorganisationen zahlreiche kritische Stimmen in Bezug auf die Wahrheitskommission laut.
Es wird daran gezweifelt, ob die noch immer im Amt befindliche Colorado-Regierung angemessen auf die
Dokumentation der Verbrechen ihrer ehemaligen Diktatur reagieren wird. Es ist eher davon auszugehen,
dass versucht werden soll, die Schuld der Regierungspartei so gut wie möglich auszublenden und
allenfalls auf den Diktator und seine unmittelbare Umgebung zu reduzieren.
"Die Verantwortlichen sind zum Teil noch heute auf Machtpositionen der Regierung, die sie vor einer
Strafverfolgung schützen", so Carlos Portillo, Psychologe und Mitglied der Kommission für
Wahrheit und Gerechtigkeit. "Sie verfügen nicht nur über die politische Macht, um das
System am Laufen zu halten, sondern sie haben auch die wirtschaftliche Macht durch die Profite, die
sie im Rahmen der Militärdiktatur anhäufen konnten. Gegen jene, die versuchen, die
Verbrechen aufzudecken, gibt es zwar so gut wie keine Bedrohungen oder Tötungsversuche wie in
vielen anderen Ländern, doch geben sie uns falsche Fährten, sie täuschen uns,
belügen uns."
Auch andere bleiben skeptisch. "Wir haben die moralische Pflicht, der paraguayischen Gesellschaft zu
erklären, dass die Arbeit der Kommission gelaufen ist", betont auch Maria Stella Caceres. "Die
Kommission konnte das Thema der Menschenrechtsverletzungen in den letzten Jahrzehnten in der
Gesellschaft lancieren, jedoch müssen nun andere Instrumente im Kampf gegen die Straflosigkeit
die bestehenden Missstände aus dem Wege räumen. Der einzige Gewinn, den die Kommission der
Öffentlichkeit präsentieren können wird, ist, dass es sie überhaupt gegeben hat
und sie ein Buch veröffentlichen wird, das keiner lesen wird."
Es wird weiterhin eine schwierige Aufgabe für Menschenrechtsorganisationen in Paraguay sein,
ein gesellschaftliches Bewusstsein aufzubauen, das dem öffentlichen Desinteresse an den Leiden
der Überlebenden von Menschenrechtsverletzungen ein Ende setzt, damit endlich ernsthafte
Schritte zur Beendigung der faktischen Straflosigkeit beschritten werden können.
Dies wird - betrachtet man die aktuellen politischen Entwicklungen - nicht einfach sein. Die
schleichende Rechtsentwicklung der Regierung verschärfte sich zuletzt hin zu offenen Versuchen
des amtierenden Präsidenten Nicanor, seine Macht entgegen bestehender Verfassungsbestimmungen
auszubauen und seine Amtszeit zu verlängern. Die bestehende Verfassung verbietet eine zweite
Amtszeit, und einem Präsidenten ist bislang auch der gleichzeitige Parteivorsitz verboten.
Nicanor bringt jedoch gerade beides zu Fall.
Gleichzeitig bauen die USA, angesichts der fortschrittlichen Entwicklungen in den
Nachbarländern, in denen heute linksliberale und sozialdemokratische Parteien regieren, ihre
Bastion in Paraguay mit neuen Militärstandorten aus.
Diese Entwicklungen und die weiterhin funktionierende länderübergreifende
Geheimdienst-Zusammenarbeit - in Form von so genannten Sicherheitskonferenzen - lassen Schlimmes
befürchten. "Der Condor setzt seinen Flug fort", prognostiziert Martin Almada düster und
warnt vor den Vorboten einer Neuauflage des Staatsterrorismus, wie er für die "Operation
Condor" typisch war.
Bianca Schmolze
(erschienen in: analyse und kritik, Heftnr. 506 vom 19.5.2006, sowie in anderer Fassung in:
Lateinamerika Nachrichten, Ausgabe 385/386 - Juli/August 2006)
Bereits 1990 reichte Martin Almada Anzeige gegen die Schergen der Militärdiktatur ein und der
Prozess begann. Warum wurde das Verfahren so lange verschleppt?
Santander Dans:
Damals war ich noch nicht Untersuchungsrichter in diesem Verfahren. Richter Mayor Martinez war
derjenige, der die Anklage gegen Alfredo Stroessner, gegen General Fretes Davalos und gegen die
gesamte Militärspitze erhob, gegen etwa 30 Personen, von denen aber die Mehrheit bereits
gestorben ist.
Das Haupthindernis war die alte Strafprozessordnung. Diese Strafprozessordnung führte dazu,
dass fast kein Prozess bis zur Urteilssprechung kam. Von allen Prozessen, die begonnen wurden, haben
nur maximal fünf Prozent zu einem Urteil geführt. Heutzutage gibt es eine neue
Strafprozessordnung, die sicherlich anklagebezogener ist. Nun ist es der Untersuchungsrichter, der
die Aufgabe hat, alles zu untersuchen und zu einem Prozess zu führen. Dies veränderte
substanziell den Sinn der Anwendung des Strafrechts.
Ein weiteres Hindernis in unserer täglichen Arbeit ist die Tatsache, dass viele der Opfer der
untersuchten Fälle in Buenos Aires leben. Wir untersuchen sozusagen die Fälle von
ParaguayerInnen, die in Argentinien verschwunden sind. Die Mehrheit der Angehörigen der in
Argentinien Verschwundenen leben heute noch in Argentinien. Wir sind dort hingereist, um mit den
Opfern zu sprechen und ihre Zeugenaussagen aufzunehmen, um sie in den Prozess einzubringen.
Wie wirken sich Entwicklungen in den anderen Ländern des Cono Sur, wie zum Beispiel die
Aufhebung der Immunität für Pinochet in Chile, auf die Arbeit im Kampf gegen
Straflosigkeit in Paraguay aus?
In all den Ländern haben die Schuldigen jetzt keinen rechtlichen Schutz mehr. Das macht es viel
einfacher. Ein Problem für die gerichtliche Verfolgung von Stroessner ist jedoch das politische
Asyl, das er in Brasilien genießt. Das verhindert, dass wir ihn nach Paraguay
überführen lassen können. Dieser Schutz hat sich auch nicht mit der
Präsidentschaft von Lula da Silva geändert. Stroessners Asyl wurde sogar noch
verlängert, so dass er derzeit für weitere fünf Jahre geschützt ist.
Wann rechnen Sie mit einem Urteil?
Wir rechnen noch in diesem Jahr mit einer Entscheidung. General Davalos steht bereits unter
Hausarrest. In Paraguay können Personen, die älter als 70 Jahre alt sind, nicht mehr ins
Gefängnis gesteckt, sondern nur unter Hausarrest gestellt werden. Dies gilt auch, während
der Prozess läuft. Wir arbeiten eng mit der Wahrheitskommission zusammen und stellen ihnen
sämtliche Dokumente zur Verfügung, die wir haben. In diesem ganz konkreten Fall haben wir
ihnen die Akten als Fotokopien zur Verfügung gestellt. Und wir erwarten auch, sobald sie ihre
Arbeit abgeschlossen haben, dass sie uns wiederum Informationen zur Verfügung stellen werden,
die sie im Laufe der Zeit ermitteln konnten.
Welche Unterstützung erwarten Sie bei der Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in
Paraguay von der Internationalen Gemeinschaft?
Wir wünschen uns bessere zwischenstaatliche Beziehungen vor allem zu Europa. Wir haben bereits
Kontakte zu Einzelpersonen und verschiedenen NGOs, die aus eigenem Antrieb kommen, wie zum Beispiel
zu dem Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck. Doch in Bezug auf Staatsanwälte und Richter gibt es
überhaupt keine Verbindungen. Es ist sogar so, dass die lateinamerikanischen Anwälte und
Richter, die die Verbrechen der Diktaturen untersuchen, in Europa keine große Erwähnung
finden. Es wundert mich schon sehr, dass die Europäer von uns keine Informationen anfordern,
die sie für Verfahren in Europa verwerten könnten. Da die Quellen der Information hier
sind, sollen sie sich an diejenigen lateinamerikanischen Länder wenden, in denen bereits
Untersuchungen laufen.
(Das Interview führte die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum am 9.März 2006 in
Asunción, im Justizpalast, in dem sich auch das Archiv des Terrors befindet.)